Dem Leben eine Form geben: Wie kann das gelingen? Wer die Form des Alltags beschreiben möchte, stellt schnell fest, dass dies kein einfaches Unternehmen ist. Das Alltägliche entzieht sich in seinen wesentlichen Eigenschaften dem beobachtenden Blick. Dabei wird aber doch gerade das, was alle Tage geschieht, als Lebensform bezeichnet. Alexander García Düttmann hat in einem kurzen Text zum Alltag, der den bezeichnenden Titel »Der Bombenleger« trägt, geschrieben: »Wenn der Alltag der Ort ist, an dem man nicht ist, und zwar gerade deshalb, weil man an diesem und keinem anderen Ort ist, dann zielen alle Versuche seiner Ritualisierung darauf, ihn zu dem Ort zu machen, an dem manist, und zwar gerade deshalb, weil man dort nicht ist.« Lebensformung ist demnach die Verortung des Ichs in einem Raum durch wiederholende, strukturierende Handlungen. Sie scheitert aber immer wieder an dieser Positionierung und bleibt damit ein utopisches Vorhaben.
Kafkas Hungerkünstler begreift sich als Akrobat, der seine Hungerkunst ausstellt, um Bewunderung und Applaus für die ihm eigentümliche Lebensform zu ernten. Er lotet tagtäglich die Grenzen seiner Existenz aus, zeichnet gewissermaßen dessen Konturen nach und bringt sie auf diese Weise zu größerer Sichtbarkeit. Sein Leben insistiert auf der Schwelle zum Tod durch Verhungern, seine Askese stellt ein lebenslanges Einüben in den Tod dar. Arbeit, Berufung, Passion, Kunst scheinen zusammenzufallen. Doch am Ende - so die Pointe der Geschichte - stellt sich heraus, dass hier keine Kunst äußerster Disziplin dargestellt wurde: Auf die Frage, warum er denn sein ganzes Leben gehungert habe, antwortet der Hungerkünstler: »Weil ich nicht die Speise gefunden habe, die mir schmeckt.« Die Lebensform des Hungerkünstlers ist also das Ergebnis eines Exzesses, in dem gegen alle Vernunft an einer Lebensform, dem Hungern, festgehalten wird.
Neben den Akrobaten gibt es noch eine andere Gruppe selbsternannter Lebensformer: die Biographen. Sie formen das Leben, indem sie es in ein sprachliches Gebilde, in einen Textkörper verwandeln. Als Ethnologe und Autobiograph hat Michel Leiris ein solches Formen zu seiner doppelten Lebensaufgabe gemacht. Die Beobachtung fremder Kulturen strebt genauso wie die Selbstbeobachtung danach, Leben in seiner wesentlichen Struktur als eine Sinntotalität zu begreifen. Leiris' Autobiographie Die Spielregel lässt allerdings in ihrer ausfransenden Fragmenthaftigkeit den Leser nur schwer eine fassbare Form auffinden. Doch wie der Titel ankündigt, gibt es immerhin eine Regel des Schreibens. Ihr Prinzip ist es, sich dem Leben wie ein Torrero dem Stier mutig auszusetzen. Die kämpfenden und gefährlichen Ordnungsversuche führen zu einer Praxis des Schreibens, die gelingt, so lange sie nicht abbricht und aufgibt. [...] |