polar #18: Politik der Lebensformen
EDITORIAL
AUSWEG
ALLTAG
AUTONOMIE
Christoph MenkeSo sind sie – So leben sieAutonomie und Befreiung | Mit der Einführung des Begriffs der Autonomie beginnt - zeitgleich mit der politischen Revolution - die moderne Philosophie. Die Grundidee des Autonomiebegriffs besteht darin, die Verbindlichkeit von Gesetzen mit der Freiheit des Subjekts zusammenzudenken, das den Gesetzen unterworfen ist. Linkshegelianische Deutungen lesen Autonomie überzeugend als eine Form sozialer Teilnahme. Der Text entwickelt darüber hinaus ein (»materialistisches« oder »genealogisches«) Verständnis des Werdens der Autonomie. Die soziale Teilnahme des Subjekts ist das Medium und das Andere der Autonomie. Deshalb bleibt die Autonomie angewiesen auf eine Tat der Befreiung, die selbst keine autonome Handlung sein kann.
Das Paradox der Autonomie Das Konzept der Autonomie will Gesetz und Freiheit wechselseitig durcheinander bestimmen. Autonomietheoretisch zu denken, heißt, das Gesetz so zu verstehen (und, wenn nötig, zu verändern), dass man in der Unterwerfung unter es »nur sich selbst gehorcht und so frei bleibt wie zuvor« (Rousseau, Gesellschaftsvertrag), und umgekehrt die Freiheit so zu verstehen, dass man, statt in der »Sklaverei« der »Begierde« zu verbleiben, zum »Herren seiner selbst« wird in »Gehorsam dem Gesetz gegenüber, das man sich selbst gegeben hat«. Frei zu sein, heißt, dem Gesetz zu folgen. Umgekehrt ist etwas nur dann ein Gesetz (ein Grund des Handelns), wenn es zu befolgen heißt, frei zu sein. In der Erläuterung des Verhältnisses von Freiheit und Gesetz durch den Begriff der Autonomie fallen freies Wollen und verpflichtendes Sollen in eins.
Nimmt man Rousseaus Rede von der Selbstgesetzgebung wörtlich, so führt dies in einen Widerspruch, der als »Paradox der Autonomie« beschrieben werden kann. Wenn Freiheit in Gehorsam gegenüber dem selbstgegebenen Gesetz bestehen soll - wie ist dann der Akt der Gesetzgebung, der Einsetzung des Gesetzes zu verstehen? Ist dies ein Akt des Gehorsams gegenüber einem nicht selbstgegebenen Gesetz, also unfrei, oder ein Akt freier Willkür, also gesetzlos? Beides genügt offensichtlich nicht dem Anspruch der Autonomie, Gesetz und Freiheit zu verbinden. Beides sind Formen der Heteronome: die äußere Heteronomie auferlegter Gesetze oder die innere Heteronomie bloß willkürlicher Entscheidungen. Ist Autonomie gemäß der Rousseauschen Formel »Gehorsam dem Gesetz gegenüber, das man sich selbst gegeben hat«, dann setzt sie einen Akt der Gesetzgebung voraus, der selbst nicht autonom ist. Wörtlich genommen ist die Idee der Autonomie paradox, ihr Grund Heteronomie.
Die sprachliche Verschiebung, die Kant gegenüber Rousseau vornimmt - Kant redet nicht von »Selbstgesetzgebung«, sondern der »eigenen Gesetzgebung« -, ist unscheinbar und kann doch als Anzeichen einer grundsätzlichen Neufassung des Autonomiebegriffs gedeutet werden: als ein Bruch mit dem legislatorischen Verständnis der Autonomie, als Selbstgesetzgebung. Diesem Bruch liegt die Einsicht zu Grunde, dass sich das Paradox der Autonomie nicht schon allein dadurch auflösen lässt, dass man den Akt der Selbstgesetzgebung an den Anspruch vernünftiger Begründung bindet. Das erlaubt zwar zu sagen: Autonomes Handeln ist Handeln nach einem Gesetz, das das Subjekt sich aus einem guten Grund gegeben hat. [...] Der Text beruht auf der Antrittsvorlesung an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt/Main. Eine ausführlichere Fassung erschien in der Deutschen Zeitschrift für Philosophie (5/2010). |
| Christian Berkes Airbnb, Wohntourismus 20 Thesen zum Plattformkapitalismus am konkreten Fall
| Viktor Tóth Techno als Lebensform? Ein Selbstexperiment
| Martin Saar Bildpolitik: >Heimatschutz<
|
SCHÖNHEITEN
Diese Seite steht zur Zeit nicht zur Verfügung. |
|
nach oben
|
|
|
|