





polar #17: Schuld und Schulden
EDITORIAL
HALTUNG
HAFTUNG
Interview Joseph Vogl »Schulden sind ein Schöpfungsakt«
| Stefan Gosepath Vage Pflichten Was schulden wir zukünftigen Generationen?
| Daniel Markovits Leistungsgesellschaft und ungleiche Verteilung Ein Bericht aus den USA
| Arnd Pollmann Schuld ohne Sühne Woody Allen, Jeremy Bentham und NSA-Skandal
| Susanne Beck Höchststrafe: Shut-Down? Über Schuld beim Einsatz elektronischer Agenten
| Dorothea Wehrmann Empowerment durch Schulden? Mikrokredite als »Wundermittel« gegen Armut im globalen Süden
| Bernd Stegemann Ein Übermaß an schönen Seelen Die Schulden des Theaters
| Susann Neuenfeldt/Simon Strick Hallo Karthago/Hallo Rom: >Krasser Traum<
| Susann Neuenfeldt/Simon Strick Hallo Karthago/Hallo Rom: >Abrechnen können wir danach<
| Johanna-Charlotte Horst Mein halbes Jahr: >Literatur< Georges Perec – Gustav Flaubert – Walter Benjamin
| Johannes von Weizsäcker Mein halbes Jahr: >Musik< Crass – Matmos – The Soft Pink Truth – Pet Shop Boys – Kid Koala
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Matthias DellMein halbes Jahr: >Film<Polizeiruf Magdeburg – Umsonst – The Unknown Known | »Wir haben ein Auto kaputt gefahren, und Schulden, ach, Sie kapieren's doch sowieso nicht, und mein Vater ist eh ein Wichser«, sagt Ellen Schenker (Sina Tkotsch). Polizeiruf 110 aus Magdeburg vom Sonntag, dem 6. Juli, die Folge heißt »Abwärts« und ist genauso diffus, wie der Titel es will: Ein im Kosovo-Krieg traumatisierter Sozialarbeiter wird zum Vaterersatz eines von Arbeitsmigration und Scheidung verwaisten Jungen. Als dessen Gegenbild funktioniert die Schwester, eben Ellen, die, obwohl sie sich irgendwie auch Künstlerin nennt, schon an die falsche Seite verloren ist: Kriminalität, Geschäfte mit zwielichtigen Gesellen (die allerdings ziemlich fashionable daherkommen - das macht wahrscheinlich das Künstlertum).
»... und Schulden...«, sagt also Ellen Schenker, um etwas zu erklären. Der Fragevorwurf der Kommissarin am Krankenbett hatte gelautet, dass Ellen ihren gerade 15-jährigen Bruder für kriminelle Geschäfte benutzt. »Schulden« ist in diesem Sinne eine wenig spezifische Erklärung; vielmehr ein Standardargument, die Allzweckwaffe in Plausibilitätsnöten durchschnittlicher Fernsehfilmdrehbücher. »Schulden« muss man nicht erklären, kennt jeder, kann jeder haben. Im deutschen Sonntagabendkrimi wird wegen »Schulden« kaum gemordet. »Schulden« sind eher Füllmasse, wenn die Charakterzeichnung schlampig war oder in der Drehbuchdiskussion die Erklärungen ausgehen.
Ein Film, der sich nicht erklären will, ist Stephan Geenes Berliner Drifter-Geschichte »Umsonst«. Das Mädchen Aziza (Ceci Chuh) kommt unvermittelt vom Vater aus Portugal zurück zur Mutter (Vivian Daniel) nach Kreuzberg/Neukölln. In ihrem Zimmer wohnt Zach (Elliott McKee) aus Neuseeland. Es gibt Streit, Gereiztheiten zwischen Tochter und Mutter, aber eigentlich passiert nicht viel, Ceci Chuh spricht mit dem reduzierten, ungebärdeten Vokabular ihrer spätpubertären Trotzigkeit, Zach spricht Englisch und lernt auch Türkisch. Ansonsten wird herumgestreunt, draußen ist Sommer und die Stadt, in dieser Ecke, voller Menschen wie Aziza und Zach.
»Umsonst« handelt von Zeit, vom Rumhängen, Rumlaufen. »Egal, wie man das wieder erklären kann (Kompensation für den Uni-Stress, den Business-School-Irrsinn weltweit), erstmal ist es da, real, ist wirklich verbrachte Zeit, oder - vielleicht - großartig vergeudete«, schreibt Geene in seinem Regiekommentar, auf den zu verweisen sich lohnt, weil er die Vagheiten des Films flankiert und nichts mit Bedeutung erschlägt. »Umsonst« ist ein Film über das Nichts-Tun als nicht einmal sonderlich intendierte Handlung; und dieses Nichts-Tun wird politisch, gesellschaftlich lesbar durch die Realität des Ortes, die Kulisse der Stadt, die hier nicht schicken Hintergrund bilden muss für die Krisen von bürgerlichen Hauptdarstellern, sondern die Akteure verschluckt. [...]
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HEU
SCHÖNHEITEN
Thomas Biebricher Eigentümliche Legierung Von Ebeneezer Scrooge bis Dagobert Duck: Margaret Atwoods Payback
| Kerstin Carlstedt Auch nicht glücklicher Wir wollen, was ihr habt: John Lanchesters Gesellschaftsroman Kapital
| Christoph Raiser Nimm es nicht persönlich Ohne Schuld kein Staat: John le Carrés Dame, König, As, Spion
| Anna-Chatarina Gebbers Unzurechenbar Politiken des Displays: Mariana Castillo Deball im Hamburger Bahnhof
| Judith Karcher Die eigene Blödheit Von der Angst, etwas zu verpassen: Rainald Goetz’ Johann Holtrop
| Julia Roth Verwobene Geschichten Der orientalisierte »Andere«: Zum Sammelband Jenseits des Eurozentrismus
| Ulrich Raiser Das eigene Gesetz Sozialität der Schuld: Dostojewskis Schuld und Sühne
| Tilman Vogt Kassensturz Protestantische Moralökonomie: Gottfried Kellers Der Grüne Heinrich
| Philipp Wahnschaffe Unsagbare Qualen Größte Empathie: Svetlana Alexijewitschs Collage Secondhand-Zeit
| Patrick Thor Bewusst blind Warum ich schuldig wurde, weiß ich nicht mehr: Pier Paolo Pasolinis Edipo Re. Bett der Gewalt
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