Zu Zeiten der großen Inflation schrieb Walter Benjamin: »Im Kapitalismus ist eine Religion zu erblicken, d.h. der Kapitalismus dient essentiell der Befriedigung derselben Sorgen, Qualen, Unruhen, auf die ehemals die sogenannten Religionen Antwort gaben.« Entgegen den Erwartungen wird auch im Kapitalismus die erlösende Antwort permanent verschoben - nicht mehr ins Jenseits, aber doch mindestens in die nächsthöhere Gehaltsklasse. Das Glück auf Erden bleibt ein Versprechen, immer kurz vor seiner Erfüllung.
So ist es auch in Georges Perecs Die Dinge. Sylvie und Jérôme, die Protagonisten dieser Erzählung, haben die Produktion ihrer Wünsche an die kapitalistische Kulturindustrie abgegeben. Sie sehnen sich nach Waren: Kleider, Schuhe, Möbel, Gläser, Besteck, Delikatessen usw. Alle Bezüge, die sie unterhalten - zu sich selbst, zueinander, zu Freunden, zu ihren Besitztümern und zu ihrer Arbeit - werden von einem einzigen Begehren bestimmt: Dinge zu besitzen, die für sie zum Inbegriff allen Glücks geworden sind, ganz so wie Karl Marx es vorausgesagt hat: »Ihre eigne gesellschaftliche Bewegung besitzt für sie die Form einer Bewegung von Sachen, unter deren Kontrolle sie stehen, statt sie zu kontrollieren.« Nur im Konjunktiv lässt der Erzähler das junge Paar im erträumten, großbürgerlichen Interieur zwischen bemalten Tellern, alten Kacheln und saftigen Pampelmusenhälften frühstücken. Die Verwirklichung bleibt aus und sie ist auch gar nicht möglich, denn mit jedem neuen Job verschiebt sich der Wunschhorizont: »Sie änderten sich, wurden andere. [...] Aber das Geld - eine solche Bemerkung ist natürlich banal - rief neue Bedürfnisse hervor. Wenn sie nachgedacht hätten - aber in jenen Jahren dachten sie nicht nach -, wären sie überrascht gewesen, wie sehr sich ihre Ansicht über ihren Körper und über all das, was sie betraf, was ihnen wichtig war und ihre Welt zu werden begann, gewandelt hatten.« Diese warenfetischistische Dynamik können Sylvie und Jérôme nicht durchbrechen. Eine Bank zu überfallen und ein Gangster-, gar ein Revoluzzer-Leben zu führen, bleibt für sie Träumerei. Zur ruinösen, wenn auch legalen Verschuldung fehlt ihnen der Mut. So gleiten sie am Ende in ein arbeitsames Leben, das ihre ehemaligen Zukunftspläne als Bohemiens enttäuscht. Sie haben nicht verstanden, dass Freiheit keinen Tauschwert hat. [...]
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