Angst hat, wer nicht in Sicherheit lebt. Der Schriftsteller Stefan Zweig lebte, aus der Perspektive des mörderischen Nazi-Deutschlands, seit 1934 in der Sicherheit des amerikanischen Exils, und so wie Maria Schraders Film Vor der Morgenröte dieses Leben zeigt in vier Stationen und zwei Tableaus, muss es angenehm gewesen sein. Der Film strahlt Schönheit aus, Leben und Gewusel, Akkuratesse und Höflichkeit. Zweig (Josef Hader) ist der Mittelpunkt des Films, den alle umgeben: Beim Empfang in Rio de Janeiro wie auf dem Schriftstellerkongress in Buenos Aires, der lange Zeit ein einziges Defilee durch Menschenmassen ist, wie noch am Ende, wenn eine deutlich grobklotzigere, weniger bedeutsame Gestalt (Matthias Brandt) auch in Südamerika angekommen ist. Mit diesem Ernst Feder geht Zweig umher wie ein zurückhaltender und sich doch seiner Lässigkeit bewusster Herbergsvater, und irgendwann stehen beide in der kleinen Wohnung von Feder, die idyllisch gelegen ist mit Blick auf das satte Grün der paradiesischen Vegetation. Und in dem Moment befällt Zweig die allergrößte Unsicherheit, eine tiefe Verzweiflung. Er deliriert, dass er sich mit Blick auf das Grün den Blick aus seinem Wiener Haus vorstelle, die Stimme wird wacklig, und für kurze Zeit tut sich ein existentieller Abgrund auf: die Furcht vor der Einsamkeit, das bibbernde Individuum, das seinen Platz in der Welt verloren hat. Es ist erstaunlich, wie Schrader es geschafft hat, Vor der Morgenröte auf solche Augenblicke hin zu inszenieren, all das Schwitzen, Reden, Schwelgen in prächtigsten Farben und Bildern zu entwerfen, nur damit am Ende das Off der Geschichte – das ferne Europa, das grausame Deutschland – wie unsichtbar nach Zweig greift.
Die Heimsuchung durch die Gespenster der Vergangenheit, ist die Klammer von Brian de Palmas Film Casualties of War (Die Verdammten des Krieges) von 1989. Der Obergefreite Eriksson (Michael J. Fox) sitzt Mitte der siebziger Jahre in der Stadtbahn von San Francisco, als er eine Frau einstiegen sieht, die ihn an Tran Thi Oanh (Thuy Thu Le) erinnert – eine Frau, die seine Einheit im Vietnam geraubt und missbraucht hat. Der Film springt in die Erinnerung, in den Krieg, eine Falle, aus der Eriksson gerettet wird von seinem wenig zimperlichen, aber loyalen Sergeant (Sean Penn). Der Film ist zu lang, ganz so, als ob er das Grauen, von dem er berichten will, nicht aussprechen will (oder zumindest: so viel wie möglich davon ausbeuten will, ehe er auf die Straße der Moral einbiegt – das Gerichtsdrama, das er am Ende ist), und die zähen Momente betont die repetitiv-schöne Musik von Ennio Morricone. Eriksson ist der Integre, der Sensible, der ohne Angst: Als der Obergefreite Diaz (John Leguizamo), der Eriksson Bedenken teilt, vom Sergeant zum Mitverschwörer an der Vergewaltigung ausgewählt wird, rebelliert der nicht. Eriksson dagegen bleibt unerschrocken, er bringt den Fall zur Anklage; anders hätte der Film seine Erzählung auch kaum rechtfertigen können. Die Unsicherheit, mit der Eriksson lebt, die ihn aufschreckt, ist das vermeintliche Déjà-vu in der Stadtbahn. [...]