Wir müssen uns Juristen als angstfreie Menschen vorstellen, verfügen sie doch mit dem Gesetz über ein formidables Werkzeug, sich von aller Unbill der Welt zu distanzieren und alle Angst und Beklemmung hinweg zu subsumieren. Was auch immer Juristen begegnet, sie zerlegen es erstens in Begriffe, die sie zweitens zu Rechtsnormen fügen, die sie sodann drittens routiniert exekutieren. Wer eine fremde, bewegliche Sache einem anderen wegnimmt, um sich dieselbe rechtswidrig zuzueignen, begeht – man ahnt es – einen Diebstahl. Wer dies unter Einsatz von Gewalt tut, begeht einen Raub und immer so fort. Mit dieser téchne der begrifflichen Partitionierung lassen sich aber nicht nur Alltagsdelikte, sondern auch ganz andere Sachverhalte schematisieren: Völkermord, Vergewaltigung oder veritable Vermögensverletzungen. Es nimmt daher kaum wunder, dass Juristen einen schlechten Leumund haben: Wer das Leid der Welt in mechanistische Begriffskaskaden fassen kann, muss nicht ganz bei Trost sein oder herzlos, wahrscheinlich aber beides.
Vorsorgegesetze als Angstgesetze?
Das juristische System der begrifflichen Partitionierung funktioniert gut, wenn es retrospektiv operiert. In diesem Sinne betreiben Gerichte in ihrer Rechtsprechung stets Vergangenheitsbewältigung. Nicht erst seit Kurzem aber sind die Erwartungen an die Leistungen von Recht gewachsen. Man erwünscht sich Zukunftsgestaltung von ihm und das in großem Stil: Vorsorge ist das Gebot, beim Schutz von Flora und Fauna, bei der Verhinderung von Krankheiten und beim Schutz vor Terror, in Konzertsälen, Flughäfen und andernorts. Vorsorge ist populär, weil es vernünftig erscheint, sie zu betreiben und zudem auch moralisch geboten, wenn etwa die natürlichen Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen geschützt werden. Vorsorgebemühungen suggerieren dabei einen Abschied aus dem egoistischen Klein-Klein des politischen Alltags und versprechen heroisch ein altruistisches Gerüstetsein für Kommendes, eine Zukunft ohne Angst. Vorsorge befriedigt also Ratio und Emotio zugleich. Vorsorgegesetze sind danach nicht allein Gesetze der Vernunft, sondern – in eine These Cass Sunsteins gefasst – zugleich Laws of Fear, Gesetze der Angst. Das demonstrativ Pejorative dieser Formulierung erstaunt, hatte man sich doch gerade von Sinn und Sinnlichkeit der Vorsorge überzeugt. Ist also etwas dran an Sunsteins Angstvorwurf? [...]