Dass der Mythos gerade in Sachen Angst immer noch Aufklärung leistet, dokumentiert Emil Angehrn in seiner Studie Die Überwindung des Chaos. Dem Mythos, so Angehrn, gelte das ›vorweltliche‹ Chaos in seiner formauflösenden Kraft als bedrohliches Nichtsein. Dem entspricht nach Angehrn als »affektive Reaktion« des Menschen die Angst: Angst angesichts einer Sphäre haltloser Potentialität und Alterität; Heulen und Zähneklappern, Taumel und Schwindel, die durch die abgründige Erfahrung einer strukturellen Inkonsistenz aller Selbst- und Weltverhältnisse, einer von Lücken und Leerstellen durchfurchten Geschichte ausgelöst werden. Dem Lastcharakter dieser Erfahrung korrespondiert dabei freilich gleichursprünglich ein Lustcharakter: Angst-Lust als Wirklichkeit der Möglichkeit ›unmöglicher‹ Ereignisse und Konstellationen.
Nun gehört es wohl zum unabwerfbaren Zwang einmal konstituierter Sinn-Ökonomien, allein noch den Lastcharakter dieser Inkonsistenzerfahrung in den Blick nehmen zu können oder zu wollen, und darüber ihren Subjekten eine stets auch promissorische ›transzendentale Obdachlosigkeit‹ ausschließlich als aufzuhebendes Grauen zu präsentieren, vor dem man sich lieber heute als morgen in stabile ›Gehäuse der Hörigkeit‹ zu flüchten habe: ins Haus der Götter, des Seins oder des Staates. Für die mythische Sphäre hat der Religionswissenschaftler Klaus Heinrich, an signifikanten Stellen auch Stichwortgeber von Angehrns Studie, ein in dieser Hinsicht paradigmatisches Dispositiv in der Genealogie ausgemacht. In seinem bedeutenden Aufsatz »Die Funktion der Genealogie im Mythos« erkennt er die fundamentale Strategie genealogischer Ordnungen darin, einem ängstigenden Werden ein für allemal ein familiales, paternales Sein aufzuprägen. Urbilder und Urväter sollen hier dafür sorgen, alles Entspringende und Anfängliche in ein lückenloses Netz der Herkunft zu verwickeln und der Macht des Ursprungs zu unterwerfen.
Freilich zeitigt dieses Verfahren eine ihm eigentümliche Dialektik der Angst: Errichtet gegen eine ängstigende Inkonsistenz, die in ihm nurmehr als reine, zu tilgende Negativität aufscheinen darf, brütet das genealogische Dispositiv eine ihm je schon innewohnende Zwanghaftigkeit aus, welche die derart genealogisch verwalteten Subjekte einer Erfahrung aussetzt, die man, in Abwandlung eines berühmten Ausdrucks von Harold Bloom, Einschlussangst nennen könnte. Von dieser findet sich wohl nicht zufällig eine der treffendsten Darstellungen bei einem Experten für die klaustrophobischen A- und Effekte einer genealogisch-paternalen Ontologie. Franz Kafka deliriert im Brief an den Vater von einem der gesamten Erdkarte koextensiven Vaterkörper. Gäbe es von dieser Darstellung ein Bild von Klee, es hieße wohl: Die Enge der Geschichte. [...]