Es heißt, Pegida und die AfD seien in Deutschland so stark geworden, weil viele Menschen wegen der Globalisierung verunsichert sind und Angst haben, auf der Strecke zu bleiben. Das mag stimmen, im Osten Deutschlands kommt noch etwas hinzu. Während die deutsche Einheit organisatorisch gut gelungen ist, hat menschlich nicht alles funktioniert. Nach der Wende wurden Werte im Osten völlig verschoben, Erfahrungen vieler Menschen entwertet, Abschlüsse nicht anerkannt, vieles, was früher richtig war, war plötzlich falsch. Es entstand ein emotionales und seelisches Vakuum, das bis heute nicht gefüllt ist.
Mein Vater verlor als Erster seine Stelle. Er arbeitete beim Verkehrs- und Tiefbaukombinat Frankfurt (Oder), das verschiedene Betriebsteile im ganzen Bezirk hatte. Als sein Sommerurlaub 1990 zu Ende ging, wurde ihm mitgeteilt, dass er nicht zurückkehren müsse. Das Kombinat wurde nicht geschlossen, es löste sich auf, seine Werkstatt übernahm eine Firma aus West-Berlin. Mein Vater wurde nicht mehr gebraucht. Mein Vater saß von da an zu Hause, er redete wenig. Wenn er etwas sagte, dann beschwerte er sich über das, was er »die neue Zeit« nannte.
Meiner Erinnerung nach markierte die Kündigung einen tiefen Einschnitt, eine existenzielle Katastrophe, auf die niemand eingestellt war. In der DDR verdiente man als Schlosser fast so viel wie ein Arzt. Jetzt waren seine Fähigkeiten nichts mehr wert. Obwohl mein Vater später wieder einen Job in einer neuen Firma finden würde, verschwand die Verbitterung nie ganz. Die neue Stelle hatte er bis 1998, danach hangelte er sich von Umschulung zu Umschulung, von einem befristeten Job zum nächsten.
Wenn ich meinen Vater heute frage, ob ihn die Arbeitslosigkeit getroffen hat, dann antwortet er darauf nicht direkt. Es ist ihm unangenehm, über damals zu sprechen. Es gelingt ihm nur, als ich ihm einen Fragenkatalog per E-Mail schicke. Er habe damals unter der Arbeitslosigkeit nicht gelitten, teilt er mir mit. Mich überrascht das nicht. Er würde es auch nicht zugeben, wenn es anders gewesen wäre. Er kommt aus der Generation, in der Männer keine Schwäche zeigen. Er schreibt sachlich: »Ich habe die Tragweite der Situation nicht erfasst.« Er sei überzeugt gewesen, dass es weitergehe, irgendwie. »Hier in der DDR bleibt keiner auf der Strecke«, schreibt er weiter. Hier in der DDR. [...]