In den Mittelschichten greift die Bildungspanik um sich. Glaubt man aktuellen Presseartikeln, die von der »Förder-Front« (Die ZEIT) berichten, wird der spätere Bildungserfolg des Nachwuchses bereits im frühen Kindesalter festgelegt. Auch die Wissenschaften von Psychologie bis hin zur Ökonomie heizen diese Entwicklung weiter an. Fabian Gülzau analysiert hier, inwiefern Eltern sich in eine Spirale der Bildungspanik begeben, in der nur zählt, dass der eigene Nachwuchs nicht den Anschluss verliert.
Zunehmend wird die Prägekraft der frühesten Kindheit für die späteren Karrierechancen hervorgehoben. Investitionen in diesen Bereich, so der Nobelpreisträger James Heckman, liefern hervorragende Rendite. Längst haben auch Unternehmen diesen lukrativen Markt für sich entdeckt – er reicht von Spielzeug, das sich besser absetzen lässt, wenn es als förderlich für die kognitive Entwicklung beworben werden kann, bis hin zu Angeboten für Fremdsprachenunterricht für Zweijährige. Bereits im embryonalen Stadium, so lässt sich überspitzt formulieren, kann die Kindesentwicklung entscheidend beeinflusst werden. Dies hieße aber auch, dass schon hier Förderoptionen verstreichen und Potential verschenkt werden kann. Auf diesem Wege entstehen in Teilen der Mittelschichten, welche ihre Stellung vor allem Bildungszertifikaten verdanken, wechselseitige Erwartungserwartungen, die eine »Förderspirale« in Gang setzen.
Der Soziologe Heinz Bude hat dargelegt, wie Eltern sich dadurch an einem Rattenrennen beteiligen. In diesem muss jeder zunehmend höhere Investitionen in die kindliche Bildung auf sich nehmen, um seine relative Position zu sichern, denn Bildungszertifikate erhalten ihren distinktiven Wert nur dadurch, dass sie knapp sind. Die Unsicherheit darüber, ob das eigene Kind ausreichend vorbereitet ist, kann zu ausgeprägten Statusängsten führen. Auch ein Aussteigen aus dem Bildungswettkampf eröffnet keinen Ausweg. Die Situation gleicht hier einem Gefangenendilemma: Wenn alle Eltern davon absehen würden, Unsummen in die kindliche Entwicklung zu investieren, profitierten auch alle von geringerem Stress sowohl auf Seiten der Eltern als auch der Kinder. Doch wenn sich nur wenige nicht beteiligen, gehören die Gutgläubigen zu den Verlierern. Wer möchte in so einer Situation schon mit der kindlichen Zukunft experimentieren? [...]