Wenn Furcht sich auf einen bestimmten Gegenstand bezieht und Angst eine allgemeine Stimmung bezeichnet, ist Angst-vor-etwas ein Oxymoron. Doch legt der Begriff der Xenophobie, der für gewöhnlich mit »Fremdenfeindlichkeit« übersetzt wird, nahe, dass zumindest das oder der Fremde (xenos) auch angsteinflößend wirken kann, denn mit dem Ausdruck »Phobie« sind gemeinhin Angststörungen gemeint. Übersehen wird dabei oft, dass Xenophobie nicht per se Fremdenfeindlichkeit bedeutet.
In Stammesgesellschaften wurden Fremde im Allgemeinen als Feinde betrachtet (oder als Beute, wenn es sich um Frauen oder Kinder handelte). Die (proto-)rechtlich-moralischen Regeln, die das Verhalten der Stammesmitglieder untereinander ordneten, galten außerhalb des Stammesverbandes nicht. Dort herrschte uneingeschränkt der Naturzustand – und damit das Recht des Stärkeren. Misstrauen und Abwehrbereitschaft gegenüber Fremden waren in einer solchen Gesellschaftsform offensichtlich ein Gebot der Vernunft.
Dass der Geltungsbereich rechtlich-moralischer Regeln dort an den Außengrenzen der eigenen Gruppe endete, hing mit ökologischen, technologischen und sozialen Faktoren zusammen: Solange sich der Handel mit Fremden nicht lohnte, weil diese nichts Anderes produzieren als man selbst, bestand an einem Austausch mit ihnen kein Interesse. Im Gegenteil: Diese Fremden waren Konkurrenten um knappe Ressourcen wie Jagd- und Sammelgründe, Frauen und – seit dem Neolithikum – Ackerland und Viehbestände, die jene sich aneignen werden, sofern sich die Gruppe nicht dagegen schützte. Umgekehrt lohnte sich ein Überfall auf eine andere Gruppe umso mehr, je geringer deren Verteidigungsbereitschaft war.
Da diese Situation die Lebensumstände der Gattung Homo bis mindestens zum Ende der Jungsteinzeit geprägt hat, gehöre – so eine »humanethologische« These – die Feindschaft gegen Fremde zur »angeborenen« Ausstattung des Menschen und lasse sich kulturell allenfalls zähmen, nicht aber gänzlich überwinden. Da es sich danach um eine generalisierte Haltung gegenüber dem Fremden handelt, ist die Rede von »Angst« nicht unangemessen. [...]