Es kann kein Zweifel bestehen, dass sich derzeit in beinahe allen Ländern Europas eine explizit rechte, nicht mehr nur konservative Grundstimmung verfestigt. Dies dem Umstand zum Trotz, dass keineswegs alle Länder von den üblichen Ursachen derartiger Stimmungen betroffen sind. In Deutschland zum Beispiel ist die soziale und ökonomische Lage so gut wie seit mehr als zwanzig Jahren nicht mehr. Einzuräumen ist, dass die Kluft zwischen den höchsten und niedrigsten Einkommensgruppen immer größer wird und die Zahl prekärer Beschäftigungsverhältnisse konstant hoch bleibt. Aber erklärt das bereits die erstaunliche Konjunktur rechtspopulistischer Stimmungen und rechtsradikaler Einstellungen? Und kann diese Neue Rechte überhaupt auf ein theoriefähiges Programm zurückgreifen?
Drei Elemente identitären Denkens
Zweifellos stellen kulturalistisch gedeutete Homogenitätsannahmen eine Grundlage des neuen, rechten Denkens dar – allerdings nur eine. Mindestens so bedeutsam sind Konzepte einer Politisierung des Raums sowie Überlegungen zur (Re)Sakralisierung sozialer Funktionen, insbesondere von Herrschaft. Alle drei Elemente – kulturalistisch gedeutete Homogenität, Politisierung des Raumes sowie Wiederverzauberung gesellschaftlicher Funktionen – schießen in den politischen Überzeugungen jener Gruppen zusammen, die sich in Österreich und Deutschland mit Blick auf Frankreich als »Identitäre« bezeichnen, die auf die französische »Nouvelle Droite« des noch immer aktiven Alain de Benoist zurückgehen und dessen »ethnopluralistische« Vorstellungen vertreten. Demnach hat jede Ethnie ein eigenes Lebensrecht, aber nur in dem ihr zustehenden Raum. Im Internetauftritt des österreichischen Arms der Bewegung wird die identitäre Idee als »eine Botschaft der Freiheit und Selbstverwirklichung jedes Volkes und jeder Kultur im Rahmen ihres eigenen Charakters« dargestellt, ihre Botschaft beinhalte daher »0 % Rassismus«.
Wer sich zu seiner regionalen, nationalen und kulturellen Herkunft bekennt, ist und lebt damit »identitär«. Bei alledem geht es nicht um die dumpfen Ressentiments der PEGIDA-Demonstranten, sondern um ein Spektrum von Personen und Medien, die – angefangen bei der rechtsreformistischen Wochenzeitung Junge Freiheit über die Bücher des »Antaios Verlages«, die Publikationen des »Instituts für Staatspolitik«, die Jugendzeitschrift Blaue Narzisse bis hin zur Zeitschrift Sezession – darum bemüht sind, rechtes Denken zu rehabilitieren. Nicht zu vergessen Jürgen Elsässer und die von ihm herausgegebene Zeitschrift Compact, der – mit pazifistischen Begründungen – ein schon von der »Konservativen Revolution« der Zwischenkriegszeit angestrebtes deutsch-russisches Bündnis und damit ein fremdenfeindliches, autoritäres Regierungsprojekt propagiert. Dass es hier durchaus Verbindungen in die AfD gibt, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass ein ehemaliger Assistent Peter Sloterdijks, der Philosoph Marc Jongen, als Hausphilosoph der AfD in Baden-Württemberg um eine entsprechende Grundlegung seiner Partei bemüht ist – ein Unternehmen, das er – weitestgehend unbemerkt – bereits in der Januarausgabe der Zeitschrift Cicero 2014 in dem Artikel »Das Märchen vom Gespenst der AfD« angekündigt hatte. [...]