Lange Zeit herrschte in Deutschland die pathogenetische Perspektive vor. Das heißt, der Fokus lag auf der Behandlung von Erkrankungen. In den vergangenen Jahrzehnten hat die salutogenetische Perspektive an Bedeutung gewonnen. Hier wird der Blick auf die Entstehung und den Erhalt der Gesundheit gerichtet – Stichwort Prävention. Hierauf basiert auch das Resilienzkonzept. Es setzt an der Stärkung von Faktoren an, die den Menschen gesund erhalten. Das Konzept boomt, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Doch zwischen aktuellem Angebot und wissenschaftlichem Erkenntnisstand klafft eine Lücke.
Der Begriff Resilienz wird in der Psychologie und Medizin zur Charakterisierung der jedem Menschen innewohnenden »seelischen Widerstandskraft« verwendet, also der Fähigkeit zur Aufrechterhaltung bzw. Rückgewinnung der psychischen Gesundheit während oder nach widrigen Lebensereignissen (Kalisch, Müller, & Tüscher, 2015).
Das Konzept der Resilienz als psychische Widerstandskraft entwickelte sich in den 1950er-Jahren, basierend auf entwicklungspsychologischen Studien an Kindern und Jugendlichen. Die US-amerikanische Entwicklungspsychologin Emmy Werner gilt hier mit ihrer 1955 durchgeführten Längsschnittstudie auf Kauai (Werner & Smith, 2001) als eine der Pionierinnen auf diesem Gebiet. Sie stellte fest, dass etwa ein Drittel der Kinder trotz schwerwiegender Risikofaktoren zu gesunden und erfolgreichen Erwachsenen heranwuchs. Diese Kinder verfügten über bestimmte personale und soziale Ressourcen/Schutzfaktoren, die die Auswirkungen der negativen Entwicklungsbedingungen abmilderten. Dazu gehörten einerseits individuelle Eigenschaften wie ein positives Temperament, hohe Sozialkompetenz, ein aktives Bewältigungsverhalten und eine positive Selbstwirksamkeitserwartung, andererseits aber auch äußere Faktoren wie die enge emotionale Bindung zu einer wichtigen Bezugsperson und ein unterstützendes soziales Umfeld außerhalb der Familie (z. B. Freunde, Schule, Kirche).
Aus zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen (vgl. Bengel & Lyssenko, 2012; Southwick & Charney, 2012) weiß man mittlerweile, dass (neuro-)biologische, psychische und soziale Ressourcen Schutzfaktoren darstellen, die dazu beitragen, die Entwicklung einer stressbedingten Erkrankung zu verhindern, indem sie den Anpassungsprozess an den Stressor positiv beeinflussen. [...]