





polar #12: Eine für alle
EDITORIAL
VERSAMMLUNG
ZERSPLITTERUNG
UMGEHUNG
Anna Sailer/Anna-Catharina Gebbers/Judith Karcher/ Peter Siller>Literatur spezial: Stadt, Land, Flucht<Josef Bierbichler – Jan Brandt – Katharina Hacker – Peter Kurzeck – Andreas Maier – Moritz von Uslar | I. Umgehungsstraße Karcher: In der »Dorfgeschichte« von Katharina Hacker geht es um die Sommermonate einer Stadtfamilie auf dem Land. Das Dorf bleibt dabei charakterlos. Ein Ort wie jeder andere. Die Dorfbewohner leben nebeneinander her, man lässt sich in Ruhe und ist doch vertraut. »Im Dorf gibt es keine Geschichten, hier findest du nichts«. Eindrucksvoll werden die Sommermonate aus der Sicht des Kindes beschrieben, das diese Zeit sehr selbstbestimmt und furchtlos erfährt. Die Kinder verbringen ihre Tage im Wald und bei den Nachbarn, dürfen schon mit wenigen Jahren den ganzen Tag dem Haus fern bleiben und draußen übernachten und müssen niemandem Rechenschaft ablegen, wo sie gewesen sind.
Siller: In Jan Brandts 927 Seiten-Debut Gegen die Welt geht es im Kern auch nicht um eine bestimmte Gegend. Das ostfriesische Dorf Jerichow – so heißt der Ort des Romans – ist ein literarischer Ort (mit Bezügen zum biblischen Ort Jericho wie zum Jerichow aus Uwe Johnsons Romanen Mutmaßungen über Jakob und Jahrestage), aber er ist zugleich jedes Dorf. Auch wenn der Schauplatz Ähnlichkeiten mit der ostfriesischen Stadt Leer aufweist, aus der der Autor stammt (aber auch Persönlichkeiten wie Karl Dall oder H.P. Baxxter von Scooter). Jerichow ist überall: das Neubauviertel, die Tujenhecken, das Autowaschen, die Bahngleise, der Fußballplatz, die Nachtfahren auf der Landstraße etc. Eine nivellierte Kleinstadt der achtziger Jahre, wie überall und wohl auch heute noch. Und zugleich Kulisse für das ganze Welttheater.
Sailer: Heimat ist ja ein bisschen wie der Markenabdruck, der dem Schriftsteller Andreas Maier anhaftet, ohne dass er jedoch zu den Nostalgieverdächtigen und Heimatheroisierern zählt. Man hat nicht den Eindruck, von einem Loblied der Provinz, sondern von deren Verabschiedung zu lesen. Als wenn Maiers Motiv der Ortsumgehungsstraße auch für das Schreiben gilt: einen Ort zu umkreisen der sich von sich selbst ablöst indem er stetig vom Neulich ins Einstmals kippt. So werden in seinem Roman Das Zimmer präzise Schilderungen der Wetterau technischen Einschnitten gegenübergestellt, die diesen Raum verändern: die Mondlandung, das Aufkommen des Verkehrswesen, die Bundesautobahn 5, die entstehende Frankfurter Skyline. Von Maier ausgehend hat Michael Angele, wie mir scheint treffend formuliert: »Was ist Provinz heute? Ein Ort mit Ortsumgehungsstraße«.
Gebbers: Moritz von Uslar besucht in Deutschboden die ostdeutsche Provinz, um sich ein Bild von der Nachwende-Situation in der ehemaligen DDR zu machen. Die Observationsbasis des Autors ist Zehdenik, im Buch Overhavel genannt, da auf diesen Ort seine vorher festgelegten Auswahlprämissen zutreffen: von Berlin aus in unter 60 Minuten zu erreichen, Kleinstadt, Boxclub, annehmbare Kneipe. Und so boxt Uslar sich im Wortsinne durch, gewinnt im sozialen Feld, scheitert im Ring und ist am Ende um einige Erkenntnisse reicher. Seine journalistische Recherche konfrontiert ihn mit dem vergeblichen Streben nach einer gesamtdeutschen Befindlichkeit und mit der schon kurz hinter dem Berliner Speckgürtel beginnenden fatalen Arbeitslosigkeit. Uslar ist aber viel zu schlau, um nicht zu wissen, dass die politische Reportage weniger sein Metier ist. An ihre Stellte tritt die feuilletonistische Suche nach der verlorenen DDR, deren Pastellfarben, vergleichbar in ihrer exotischen Drögheit mit dem amerikanischen Heartland.
Mittelreich von Josef Bierbichler geht dagegen an einem ganz anderen Ort zurück in die Zeit. Das Buch verfolgt die Entwicklungen der Jahre 1914 bis 1984 aus der Sicht einer Seewirts- und Bauernfamilie in einem Dorf an einem oberbayrischen See. Es ist Josef Bierbichlers Verarbeitung seiner eigenen Familiengeschichte in Ambach am Starnberger See. Der zweitälteste Sohn des Seewirts (Bierbichlers Alter Ego) will Künstler werden und muss widerwillig den Hof übernehmen, da der älteste Sohn verwundet aus dem Krieg zurückkommt. [...]
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