Neben „Reform“, „Innovation“ und „Modernisierung“ gehört das Wort „Nachhaltigkeit“ mittlerweile in die rhetorische Zauberkiste eines jeden Politikers. Gegen die zunehmende Verflüssigung gesellschaftlicher Verhältnisse verspricht die „Nachhaltigkeit“, dass die Politik in Zeiten der „liquid modernity“ (Zygmunt Bauman) doch noch in der Lage ist, Bleibendes zu schaffen. Wer es im Munde führt, möchte den Bürgern anzeigen, dass er nicht von realpolitischer Hektik getrieben ist, sondern weitsichtig denkt und handlungsfähig ist.
Die suggestive Message der Nachhaltigkeit mag vielleicht Zukunftsängste beschwichtigen. Wenn man sich aber die Entstehungsgeschichte des Begriffs vergegenwärtigt, dann muss man sich über die Konjunktur trotzdem wundern. Schließlich wurde der ursprünglich aus der Forstwirtschaft stammende Begriff einst mit kritischer Stoßrichtung in die politische Debatte geworfen. Der Begriff „sustainable development“ tauchte zuerst 1980 auf, und zwar in einer von Umweltverbänden und den Vereinten Nationen herausgegebenen Studie. 1987 machte dann der so genannte Brundtland-Bericht die Nachhaltigkeitsidee einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Im Brundtland-Bericht, benannt nach der damaligen norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland, findet sich folgende Definition der Nachhaltigkeit: „Eine nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der gegenwärtigen Generation befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“. Die Idee der Nachhaltigkeit verlangte demnach ein ökologisches Verantwortungsbewusstsein für die natürlichen Lebensgrundlagen kommender Generationen ein. Was man hier erkennt, ist die Kritik an der rein quantitativen kapitalistischen Wachstumslogik. Gegen die (ideologische) Unendlichkeit der Wertschöpfung wird die (natürliche) Endlichkeit der Rohstoffe in Stellung gebracht.
Der Begriff Nachhaltigkeit wanderte aber im Laufe der Jahre aus der Ökologie in alle möglichen anderen Politikfelder ab. Diese Entgrenzung war ohne Sinnentleerung nicht zu haben. Längst lässt sich das Konzept auch proto-ökonomistisch umbiegen: Wenn etwa der Marktfundamentalist Guido Westerwelle eine „nachhaltige Steuersenkung und Steuervereinfachung“ fordert, dann wird hier die marktkritische Dimension der Nachhaltigkeit ad absurdum geführt. Sie ist zu einer Allzweckvokabel verkommen, mit der sich auch das „gesunde Wirtschaften“ der Neoliberalen legitimatorisch unterfüttern lässt.
Es ist natürlich gerade diese ideologische Plastizität, welche die „Nachhaltigkeit“ für Politiker aller Couleur attraktiv macht. Denn: Von den kritischen Bedeutungsresten, die trotz aller Ausdünnung immer noch mitschwingen, lässt sich profitieren. Diese moralische Markierung im Sinne einer „überlegenen Vernünftigkeit“ kostet nicht viel. Der Nachhaltigkeits-Sound passt perfekt in jene post-utopische Konstellation, in der wir heute leben: Die einst utopisch aufgeladene Dimension Zukunft wird auf eine „vernünftige“ Verlängerung der Gegenwart, eben auf eine „nachhaltige“ Sicherung des Status quo heruntergekocht.
Die Anmaßung besteht dabei in einem in die Zukunft verlängerten, gleichsam „vorausschauenden“ Konservatismus: Geschichte wird gegen den Einbruch des radikal Neuen, gegen das Ereignis einer ganz anderen Politik immunisiert. Die Nachhaltigkeitsredner sprechen im Namen unserer Nachkommen – in Wirklichkeit engen sie deren Handlungs- und Freiheitsspielräume ein. Denn die Zukunft erscheint hier nicht mehr als ein umkämpftes Terrain, sondern als eine Sphäre, die schon hier und heute technokratisch befriedet werden kann. Doch: Sollte die kommende Zeit nicht vielmehr offen gehalten bleiben? Offen für neue Lebensentwürfe – aber auch für zweifelhafte Bedürfnisse und Laster, für einen „unnachhaltigen“ Hedonismus des Hier und Jetzt? Womöglich wollen sich unsere Enkel ja eines fernen Tages für ein völlig anderes Gesellschaftsmodell entscheiden und das träge Kontinuum der Nachhaltigkeit durchbrechen.