Warum sind Romanzen in der heutigen Konsumkultur befreiter und gefährdeter? Wer codiert Intimität? Und was erwartet uns beim ersten Date? Ein Gespräch mit Eva Illouz polar: In Ihrem Buch „Konsum der Romantik" beschreiben Sie eine Verschränkung von romantischer Liebe und der Konsumkultur in westlichen Gesellschaften. Konsumieren wir romantische Momente oder lieben wir den Konsum?
Illouz: Beides. Die Romantik wird vermarktet und Waren romantisiert. Einerseits definieren und organisieren sich zwischenmenschliche Begegnungen zunehmend über Freizeitkonsum. Sich mit jemanden verabreden bedeutet, in ein Restaurant zu gehen, jemanden im Auto abzuholen, einen Film zu sehen, später zusammen eine Reise zu machen. Andererseits ist die romantische Liebe wahrscheinlich das am weitesten verbreitete Bild, um Waren zu verkaufen. In der Massenkultur des 20. Jahrhundert werden alle Arten von Waren mit Liebe verbunden, von Kühlschränken, über Seifen, Waschmittel, Autos, bis hin zu Versicherungspolicen. Es besteht eine enge Verflechtung zwischen Konsum und romantischer Liebe. Die Praxis der romantischen Liebe lenkt die Freizeitindustrie. Gleichzeitig kodifiziert die Massenkultur die Romantik.
polar: Wie entstehen diese Verflechtungen? Durch den Konsument selber? Oder die Werbung?
Illouz: Werbung erzeugt wenig Bedeutungen, die nicht schon vorher existieren. Das Bild einer glücklichen Familie ist ein sehr erfolgreiches Werbeimage. Natürlich hat aber nicht die Werbung den Wert der Familie geschaffen. Die Kraft der Werbung liegt gerade in der Tatsache, dass sie die Wirklichkeit anzapft und soziale Werte übernimmt. In den frühen achtziger Jahren entdeckte die Zigarettenwerbung beispielsweise den Feminismus. Werbung schafft Abkürzungen. Sie verbindet die Träume und Sehnsüchte, die anderswo in einer Gesellschaft artikuliert werden mit bestimmten Produkten und Aktivitäten. Die Macht der Werbung liegt in diesen Typisierungen, Vereinfachungen und Verknüpfungen.
polar: Nehmen wir eines der Bilder, welches Sie in ihrem Buch beschreiben: Ein Paar sitzt in einem Ruderboot auf einem einsamen See. Wie wird so ein Bild zu einem romantischen Code?
Illouz: Das Ruderboot ist ein sehr klassisches romantisches Bild. Die literarische Romantik schuf diese enge Verbindung zwischen Natur und Gefühlen. Aus dieser ästhetischen Tradition gewinnt das Bild seine Heiligkeit. Die Idee der Liebe hat natürlich eine sehr lange Tradition. Von Platon etwa kommt die Verknüpfung von Liebe mit etwas Absolutem, die sich so in der chinesischen Tradition etwa nicht findet. Aber wir wollen nicht bei Platon beginnen, jeder beginnt bei Platon. Die „romantische Liebe" wurde im 18. Jahrhundert mit der Entstehung des Romans geboren. Liebe errang einen mythischen Status. Mythen haben typischerweise keine Autoren. Liebe ist einer der großen Mythen unserer Gesellschaft.
polar: Wenn die ursprünglichen Quellen der Romantik außerhalb der Konsumkultur liegen, können Menschen dann nicht auch heute lieben, ohne sich von der Marktlogik einfangen zu lassen?
Illouz: Nein. Vielleicht könnten sie es sogar, aber es würde sich grau und leer anfühlen. Es geht nicht darum, dass Menschen nicht mehr lieben, sondern wie sie diese Liebe erfahren. Romantische Interaktion ist das Ritual einer gemeinsamen Zeit in einem abgesonderten Raum. Die Konsumkultur hat unsere Ideale und Werte verändert. Und wir schätzen diese Veränderung. Natürlich leben wir nicht alle entlang dieser neuen Ideale. Es existierte eine breite Variation von Praktiken der romantischen Liebe. Aber die meisten von uns würden das Konsummodell als das bezeichnen, was der Liebe die größte Spannung und ein Hochgefühl verleiht. Konsum setzt romantische Gefühle nicht herab, sondern verstärkt sie. In der Liebe entfaltet der Konsum seine perverse Macht und Schönheit.
polar: Wollen Sie damit sagen, dass in einem eleganten Restaurant Hummer und Champagner zu konsumieren, mehr romantische Intensität besitzt, als auf einem verlassenen See zu rudern?
Illouz: Oh nein, auch Rudern ist eine Konsumaktivität. Da die meisten Menschen in Städten leben, müssen sie erst einmal zu dem See kommen, ein Boot mieten und normalerweise gehen sie hinterher etwas trinken oder essen. Für die städtische Bevölkerung gewinnt der romantische Moment meist nur die gewünschte Heiligkeit, wenn sie raus kommen. Sie müssen den Zug nehmen und ein Hotel für die Nacht. Die Tourismusindustrie wäre ohne romantische Bilder nicht zu einem der wachstumsstärksten Wirtschaftszweige geworden. Die Schönheit des Konsums liegt darin, dass wir ihn nicht mehr als Konsum empfinden. Das Ruderboot fühlt sich nicht als Konsumobjekt an, ist es aber.
polar: Wenn alles zu Konsum wird, gehorcht natürlich auch die Liebe dem ökonomischen Code. Sie selbst sprachen aber vorher von verschiedenen Praktiken der romantischen Liebe. Wie sähe denn eine alternative Konzeption aus?
Illouz: Die einzige ernsthafte Konkurrenz zu einem konsumorientierten Bild der romantischen Liebe ist eine religiöse Lebensart. In religiösen Bevölkerungsschichten existiert eine ganz eigene, abgegrenzte Vorstellung von Liebe. Streng religiöse Menschen teilen andere Werte, wie etwa die gemeinsame spirituelle Erfahrung Gottes. Die Vorstellung von Intimität ist für die religiöse Definition der Heirat nicht zwingend notwendig. Selbst in diesen religiösen Entwurf dringen neue Wertvorstellungen ein. In Israel suchen vermehrt orthodoxe, ultra-religiöse Bevölkerungsteile Psychotherapeuten wegen sexuellen und emotionalen Problemen auf. Diese Suche nach einer idealen Intimität ist aber ein Bild der Konsumkultur.
polar: In Ihrem Buch beschreiben Sie, dass die Ökonomisierung romantischer Gefühle einen Gewinn an Autonomie und Emanzipation mit sich bringt. Von was befreit der Konsum die Romantik?
Illouz: Liebe selbst ist ursprünglich eine Erzählung der Freiheit. Historisch wendet sich Liebe gegen ökonomische Zwänge, jemand bestimmten heiraten zu müssen. Im Kapitalismus bewegen sich die Menschen freier auf dem Markt und sind unabhängiger von familiären Bindungen. Sie heiraten, wen sie lieben. Liebe entfaltet im Kapitalismus ihre starke individualisierende und emanzipatorische Kraft. Das individuelle Gefühl wird zum alleinigen Schiedsrichter über eine der wichtigsten ökonomischen Entscheidung unseres Lebens. Diese Entscheidung auf der Grundlage seiner Neigung und vielleicht sogar entgegen seinen wirtschaftlichen Interessen zu fällen, ist eine kulturelle Emanzipation. Die Konsumkultur regt dazu an, Neigungen zu erforschen, sich nicht auf eine Sache zu fixieren und möglichst viele Erfahrungen zu sammeln. Dadurch wurden eine Menge sozialer Strukturen erschüttert. Der Feminismus beispielsweise hätte nie eine solche Wirkung entfaltet, wäre er nicht von der fantastischen Maschine des Konsums unterstützt worden, die den Menschen erzählt, mach dein eigenes Ding und mach so viele Dinge, wie du kannst.
polar: Das erscheint wie ein Hohelied auf den Konsum. Ist diese affirmative Haltung nicht problematisch? Eine ganze Tradition der kritischen Theorie, der Sie sich auch zurechnen, hat den Übergriff der ökonomischen Vernunft auf andere Lebensbereiche, wie etwa intime Beziehungen scharf kritisiert. Verlassen Sie den Weg der Kritik?
Illouz: Als Kultursoziologin bin ich zunächst gezwungen zu beobachten, dass die scharfe Trennung zwischen Gefühlen und ökonomischem Tausch eine Fiktion ist. Marx’ Kritik der kapitalistischen Gesellschaft ist insofern ein soziologisches Desaster, weil er annahm, dass sich eine Sphäre zwischenmenschlicher Beziehungen von einer Sphäre der monetären Beziehungen trennen ließe. Das ist einfach nicht der Fall. Ein Geschenk etwa ist – wie Marcel Mauss gezeigt hat – gleichzeitig ein ökonomischer und ein zwischenmenschlicher Akt, durch den ich den Empfänger an mich binde. Ich nehme nicht an, dass sich instrumentelle Handlungen von zwischenmenschlichen Beziehungen unterscheiden lassen. Wenn man das Reine und das Unreine, das Zwischenmenschliche und das Instrumentelle schon vorher klar kennt, braucht es keine Untersuchung mehr. Da es aber natürlich keine objektive, wertfreie Wissenschaft gibt, hat auch die Soziologie eine kritische Verantwortung. Mein Ziel ist es, die Kategorien der Menschen zu verstehen, ohne die Trennlinien schon vorweg zu nehmen. Ich versuche, eine „immanente Kritik“ zu leisten.
polar: Selbst wenn sich der Konsum der Romantik insoweit „immanent“ als individueller Freiheitsgewinn rekonstruieren lässt, bleibt doch ein massives „externes“ Gerechtigkeitsproblem. Wenn Romantik nur im Konsum intensiv gelebt werden kann, muss man sich solche Gefühle finanziell leisten können. Lieben reiche Leute etwa intensiver?
Illouz: Nein, so einfach ist das nicht. Gerade im Anfangsstadium einer Romanze hat sogar die Unterschicht Vorteile. Männern und Frauen der Mittelschicht fürchten den sozialen Abstieg und suchen deswegen ihre Partner sehr sorgfältig aus. Sie haben mehr Schwierigkeiten, sich zu binden, die spontane Erregung zu leben, die unreflektierte Erfahrung des „Sich-Verliebens“ zuzulassen. Der wahre Klassenunterschied greift erst bei den Heiraten. Männern und Frauen aus der Mittel- und Oberschicht bieten sich viel mehr Möglichkeiten, ihr Leben an die romantischen Ideale anzupassen. Sie verwenden mehr Zeit auf sexuelle und emotionale Intimität und mehr Geld auf die Konsumrituale der Romantik, mit denen wir dem täglichen Leben entfliehen. Ihnen stehen überdies mehr Modelle der Männlichkeit offen. Männer aus der Mittelschicht arbeiten oft mit Menschen, müssen deren Gefühle verstehen und kommunikative Beziehungen pflegen. Dadurch lernen sie ihre Gefühle zu verbalisieren und können freier an dem sprachlichen Spiel der Intimität teilhaben. Einem Arbeiter hingegen bleibt oft nur sein Körper, um zu beweisen, dass er ein wahrer Mann ist.
polar: Ist diese schichtspezifische Analyse der Partnerwahl nicht etwas traditionell? In Ihren Frankfurter Adorno-Vorlesungen „Gefühle im Zeitalter des Kapitalismus“ untersuchen Sie unter anderem die Auswirkungen neuer Technologien auf unser Gefühlsleben. Verändert das Internet die Partnerwahl?
Illouz: Das Internet überträgt die ursprüngliche Metapher eines „Marktes“ von Beziehungen vollständig in die Realität. Bei Online-Partnerbörsen bestimmen die User bis ins kleinste Detail ihre Präferenzen. Die Suche folgt der puren Logik der rationalen Wahl. Der User kann aus einer Masse an Menschen, einem gigantischen Pool potenzieller Partner wählen. Das Marktangebot ist schier endlos. Feste Attribute gewährleisten die Vergleichbarkeit. Man kann sich zunächst sehr einfach und zwanglos auf jemanden einlassen. Die meisten User gehen gleichzeitig auf mehrere Kontakte ein. Das traditionelle Konzept von Liebe gründete auf Seltenheit. Das Internet bringt romantische Kontakte im Überfluss. Die Ökonomie der Liebe hat sich dadurch radikal verändert.
polar: Was bedeuten diese Veränderungen für die Qualität von Gefühlen? Erwarten uns wirklich „Cold Intimacies“, wie der englische Titel Ihres neuesten Buches suggeriert?
Illouz: Das Internet hat einen bisher beispiellosen Zynismus geschaffen – einen Zynismus, der der Wiederholung entspringt. Dieser Vorgang gleicht einem Spiel, das wir wahrscheinlich alle als Kinder ausprobiert haben. Man wiederholt ein Wort so lange, bis es seine Bedeutung verliert. Auch die Geschichte von Don Juan handelt davon. Unter extremer Wiederholung wird selbst die sexuelle Begegnung eintönig. Das Kennenlernen im Internet unterwirft romantische Begegnungen einem klaren Raster und Drehbuch. Durch die häufige Wiederholung werden romantische Handlungen eintönig. Unsere Gefühle stumpfen ab, werden zynisch.
polar: Das klingt nun aber gar nicht mehr nach „immanenter“, sondern nach einer sehr expliziten Kritik.
Illouz: Richtig. Die Erfahrungen, die ich in meiner letzten Untersuchnung erklären musste, waren wesentlich komplexer. Die Partnersuche im Internet bietet durchaus Vorteile. Die klassischen Geschlechterrollen sind weitgehend aufgehoben. Eine Frau kann selbst einen Kontakt einleiten. Viele Frauen berichteten, dass sie sich dadurch wesentlich freier fühlen. Aber allgemein herrscht ein larmoyanter Ton vor. Das Internet formalisiert in sehr scharfer Weise den eigenen Marktwert. Die Mehrheit erfährt dadurch aber hauptsächlich die fehlende Nachfrage. Ein klassisch marxistisches Thema: Der Kapitalismus arbeitet gegen sich selbst. Die Logik der rationalen Wahl untergräbt die Erfahrung romantischer Begegnungen. Die virtuelle Suche nach Romantik zerstört ihr eigenes Objekt.
polar: Gibt es irgendeinen Ausweg aus diesem Dilemma?
Illouz: Es gibt keinen Weg zurück, aber ich glaube an die Kreativität menschlichen Handelns. Wir sind weit davon entfernt, unser sexuelles und emotionales Leben komplett aus der Hand zu geben. Die Idee der Freiheit der freien Selbstbestimmung unser intimen Beziehungen wird nicht verschwinden. Diese Logik der freien Wahl wird sich weiter ausbreiten und vertiefen. Jede neue Entwicklung der Romantik müsste innerhalb dieser Logik entstehen. Das Internet hat und wird weiterhin unsere romantischen Empfindungen verändern. Die technologische Entwicklung des Internet wird auch nicht die letzte bleiben. Wir finden andere Wege und die Kultur der zwischenmenschlichen Begegnungen passt sich daran an. Die Fähigkeit allerdings, langfristige Bindungen einzugehen, schwindet, da sie von der Vorstellung abhängt, dass der Partner einzigartig ist. Die Idee des einen und nur einen Gegenparts, welche den Kern der traditionellen romantischen Liebe bildete, ist unwiderbringlich verloren.
Gespräch und Übersetzung von Bertram Keller