Was ist Glück? Ist es materiell oder ideell? Kürzlich träumte ich, ich nähme an einem Filmkritikerworkshop teil. Als ich in mein Hotel zurückkehren wollte, war das Gebäude abgebrannt, nur noch Ruine! Meine Lieblingshose, meine Lieblingsjacke: Asche. Klamotten? Notwendig für mein Glück? Dass Materielles nicht alles sein kann, war im vergangenen Herbst die Erkenntnis selbst von Hollywood-Klamotten wie „The Devil wears Prada". Insbesondere aber der deutsche Film lieferte Anleitungen zum Glücklichsein. Im gefühlsduseligen Krebs-Drama „Emmas Glück" liegt selbiges im Schweinetrog. Dann doch lieber „Ein Freund von mir" und „Sehnsucht", zwei verschiedene, gelungene Versuche, zu klären: Wann bin ich glücklich? Und ist Glück teilbar? Im ersten Fall, der Komödie, liegt Glück wie schon im Debüt von Sebastian Schipper („Absolute Giganten") in der Freundschaft: Hans, dem das Glück ja schon in den Namen geschrieben ist, will mit Karl nicht nur das Erlebnis teilen, nackt im Porsche über die Autobahn zu rasen, sondern auch seine Freundin. Wenngleich am Ende nur einer der beiden Freunde bei Stella landet, bleibt doch die aristotelische Einsicht des absoluten Werts der Freundschaft. Schipper überbringt diese Botschaft mit einer erzählerischen Leichtigkeit und vor dem Hintergrund cooler Ästhetik, die die Charaktere widerspiegelt. Im zweiten Fall, der Tragödie von Valeska Grisebach, changiert die Titel gebende „Sehnsucht" in der Liebe eines Mannes zwischen zwei Frauen und in der Suche nach „real love", wie es nach einem Robbie-Willliams-Song in der Schlüsselszene heißt. Grisebach dokumentiert mit bemerkenswerter Konsequenz, dass manche Sehnsucht ungestillt und echtes Glück - ohne Wenn und Aber - oft unerfüllt bleibt.
Selig da diejenigen, die nichts mit der irdischen Suche zu tun haben. Oder doch nicht? In Wim Wenders poetisch wie ästhetisch phantastischem Klassiker „Der Himmel über Berlin" vertumben die Engel in ihrer Schwarz-Weiß-Welt, in der es kein Gefühl, keine Sehnsüchte, kein Glücksempfinden gibt. Erst als ein Engel Mensch wird und nicht nur die Chance, zu lieben, wahrnimmt, sondern auch die Möglichkeit, Schmerzen zu empfinden, merkt er, was wahres Glück bedeutet. Auch wenn es schlicht heißt: Einen Kaffee zu trinken und dazu eine Zigarette zu rauchen, wie ihm Ex-Engel Peter Falk an einer Imbissbude rät (und wie Jim Jarmusch in seinen „Coffee and Cigarettes"-Episoden so vortrefflich philosophiert).
Blicken wir zu Antoine Doinel, dem immerwährenden Enfant François Truffauts. Mit „Les Quatre Cents Coups" („Sie küssten und sie schlugen ihn") legte Truffaut den Grundstein für die französische Nouvelle Vague und brachte zugleich Antoine zur Welt, der daraufhin in einem fünfteiligen Film-Zyklus zum Mann heranwächst, dabei aber immer der beneidenswerte naive Ignorant bleibt, dessen Glück nichts wirklich trüben kann. Nicht zuletzt deshalb, weil Antoines Liebschaften nicht wie die Affären anderer Truffaut-Plots mit Tod durch Erschießen oder Ertrinken enden.
Zu Weihnachten gab es Lubitsch-Komödien, darunter neben „Ninotschka" und „Sein oder Nichtsein" auch „The Shop Around The Corner", eine wenig bekannte Romanze, in der ein junger James Stewart zu blind und zu schüchtern ist, sein Liebesglück gleich zu fassen. Es ist das Glück der so genannten „kleinen Leute", das Lubitsch hier wie in anderen seiner Filme interessieren. Lubitsch preist und spottet hier zugleich, mit „solcher Perfektion, dass man nie wirklich sagen kann, wo die Satire endet und wo sie beginnt", wie einst der Regisseur Peter Bodganovic („Is' was, Doc?") rühmte.
Und schließlich die unkaputtbare Komödie „Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug". Alle paar Sekunden hagelt es einen Gag und wenn nur die Hälfte beim Zuschauer einschlägt, ist Glück garantiert. Anfangs als eine Parodie auf die Katastrophenfilme der 1970er Jahre gedacht, folgten in den nächsten Jahren eine Reihe weiterer vollendet alberner "Katastrophen-Filme" aus der Zucker/Abrahams/Zucker-Produktion. Diese „Klamotten" müssen aus den Trümmern gerettet werden...
Ein Freund von mir, D 2006, Regie: Sebastian Schipper, Darsteller: Daniel Brühl, Jürgen Vogel, Sabine Timoteo, Buch: Sebastian Schipper, Kamera: Oliver Bokelberg, Länge: 84 min.
Sehnsucht, D 2006, Regie: Valeska Grisebach, Darsteller: Andreas Müller, Ilka Welz, Anett Dornbusch, Buch: Valeska Grisebach, Kamera: Bernhard Keller, Länge: 88 min.
Der Himmel über Berlin, D/F 1987, Regie: Wim Wenders, Darsteller: Bruno Ganz, Otto Sander, Solveig Dommartin, Curt Bois, Peter Falk, Buch: Peter Handke, Richard Reitinger, Wim Wenders, Kamera: Henri Alekan, Länge: 127 min
Les Quatre Cents Coup, F 1959, Regie: François Truffaut, Darsteller: Jean-Pierre Léaud, Claire Maurier, Albert Rémy, Patrick Auffay, Buch: François Truffaut, Kamera: Henri Decae, Länge: 95 min.
The Shop Around The Corner, USA 1940, Regie: Ernst Lubitsch, Darsteller: James Stewart, Margaret Sullavan, Frank Morgan, Buch: Samson Raphaelson, nach einem Theaterstück von Nikolaus Laszlo, Kamera: William Daniels, Länge: 97 min.
Die unglaubliche in einem verrückten Flugzeug, USA 1980, Regie: Jim Abrahams, Darsteller: Robert Hays, Julie Hagerty, Lloyd Bridges, Leslie Nielsen, Buch: Jim Abrahams, David Zucker, Jerry Zucker, Kamera: Joseph Biroc, Länge: 88 min.