Gleichheit ist Maßstab jedes Vergleichs. Wenn mehrere Menschen ihre Leben in einer Gemeinschaft koordinieren, werden Vergleiche notwendig. Einer Konzeption von Gleichheit entkommt so keine Politik, sei sie links oder rechts. Die Frage lautet: Welche Gleichheit ist gemeint? Fahrgast-Controller und Hygiene-Managerin entfliehen der zum Stigma gewordenen Klasse. Die linke Wertebasis hadert mit dem Selbstverständnis eines Obdachlosen als Ich-AG. Was bleibt, ist eine formale Festung: Links ist gleiche Gestaltungsmacht. Die Möglichkeit zur gleichen Beteiligung aller im Gegensatz zur konservativen Betonierung der Privilegien. Gleiche Freiheitsrechte und gleiche Partizipationsrechte ermöglichen einen autonomen Zugang zum Diskurs über weitergehende Verteilungsfragen. Kritik erfordert Zugang. Eine linke Politik muss politischen Zugang gewähren. Gleichheit meint reale politische Freiheit für alle.
Bertram Keller
Auch wenn der Gesamtoutput der betrachteten Gesellschaft ins Astronomische steigt und auch die Niedersten ihre Brötchen dabei verdoppelt kriegen: Man wird die Verteilung all dessen, was in dieser Gesellschaft etwas zählt, nicht vernachlässigen können. Worum auch immer gestritten wird: Geld, Zeit, Arbeit, Selbstverwirklichung, kulturelle Ausdrucksmöglichkeit, Verhandlungsmacht, Anerkennung - Differenzen, die als unverdiente Höhenunterschiede wahrgenommen werden, lassen nicht kalt. Hier reicht auch nicht die Gleichheit der »Chance« am Ausgangspunkt irgendeines »Wettbewerbs«, es zählt das Ergebnis, die realisierte Relation zu den anderen. Lebensqualität, Glück und Identität sind von sozialen Hierarchien tief geprägt. Nieder mit dem Vorwurf der »Gleichmacherei«! Wer Differenz nur als vertikale Statusdifferenz konstruieren kann, bleibt anthropologisch flach und verteidigt meist Privilegien. »Linke«, richtig verstandene Pluralität spricht von der horizontalen Kulturdifferenz.
Ralph Obermauer
»Alle Menschen sollten gleich viel zählen«. Das wird nicht mal von Rechten bestritten, sondern nur von Rassisten oder anderen Finsterlingen. Doch was folgt daraus? »Jedem sollte - soweit möglich - ein annähernd gleicher Lebensstandard zukommen«. Diese Form der Gleichheit verlangt einen Vergleich zwischen Personen. Je höher aber das Niveau, desto unerheblicher die Unterschiede, irgendwann wird es zur Nebensache, ob jemand mehr hat als ein anderer. Nicht die Ungleichheit ist schlecht, sondern die Tatsache, dass manche unter unwürdigen Lebensbedingungen zu leiden haben, obwohl sie durch Umverteilung genug haben könnten. Die Linke lebt nicht vom Ideal der interpersonellen Gleichheit, sie fordert vielmehr die allgemeine Ermöglichung gelingenden Lebens.
Thomas Schramme
Wenn »links« heißen soll, für den Anspruch auf Gerechtigkeit, Selbstbestimmung und Partizipation einzutreten, dann ist dieser Begriff in einer Zeit der geklonten Plastikwörter und Leerformeln aus den PR-Agenturen wichtiger denn je. Und wenn Gleichheit heißen soll: gleiche Anerkennung der unterschiedlichen Lebensentwürfe und damit gleiche Verwirklichungschancen für alle, dann brauchen wir dringend das Ideal der Gleichheit zur Bestimmung von Gerechtigkeit. Es kommt auf die Hinsicht des Gleichheitsmaßstabs an. Leider ist die Sache noch etwas komplizierter. Die Rücksichtnahme auf Handicaps und Lebensformen stößt in der politischen Sphäre an Grenzen. Deshalb legt die politische Philosophie zu Recht den Schwerpunkt auf das Ideal der Ressourcengleichheit. Außerdem kann Gerechtigkeit dort Ungleichheit verlangen, wo sie über den Markt zu einer Wertschöpfung führt, die wiederum den Schwächeren selbst zugute kommt. Deshalb: Gleichheit in bestimmter Hinsicht und Ungleichheit in anderer Hinsicht sind kein Widerspruch, sondern Teile der Forderung nach Gerechtigkeit.
Peter Siller