Wir trafen uns in Polen auf dem Land. Eine ausgewanderte Freundin ließ sich trauen. Es gab einen zweisprachigen Gottesdienst, Spanferkel und sehr viel Wodka. »Ich wechsel' demnächst die Schule« erzählte mir Max, »die anderen Kinder in meiner Klasse sind blöd.« Max ist sieben und wohnt am Helmholtzplatz in Berlin. Also mitten im Bezirk Prenzlauer Berg, einem Kiez, der von Kaffeehäusern für junge Freiberufler mit Laptop ebenso geprägt ist wie von Grundschulen und Boutiquen für Säuglingsbedarf; einem Stadtteil, der gleichzeitig als »szenig« gilt und als kinderreich. Während man sich im Regierungsviertel jahrelang um den demographischen Faktor sorgte und andernorts die durchschnittliche Geburtenrate von 1,4 pro potentieller Mutter überzeugend als Gebärstreik interpretierte, als stillschweigenden, doch deutlichen Protest bundesrepublikanischer Frauen gegen nach wie vor eklatante Gleichberechtigungsdefizite, fehlende Betreuungseinrichtungen und eine Arbeitsmarktstruktur, die Elternschaft kaum vorsieht, begann die einstige Generation Start-Up, mittlerweile zunehmend prekarisiert, mit der eigenen Reproduktion. Ehemalige Programmierer schieben Kinderwägen. Praktikantinnen kaufen Windeln und engagieren sich im Elternverein. In unserer flexibilisierten und nichtlinear gewordenen Zeit, in der es selbst Leuten mit Hochschulabschluss kaum mehr gelingt, Karrieren zu planen und erfolgreich auf langfristige berufliche Ziele hinzuarbeiten, scheint das Kinderkriegen wieder angesagt. Ist das eine neue, alte Form, Lebensprojekte zu schaffen und einigermaßen sichere Quellen für Anerkennung? Jetzt, wo all dies auf dem Arbeitsmarkt selbst bei hohem Sozialkapitaleinsatz immer seltener zu haben ist?
Fakt ist, dass die neoliberale Anforderung, sich unentwegt anpassungsfähig und einsatzbereit zu zeigen, für immer mehr Menschen zunimmt - während der Arbeitsmarkt immer weniger Chancen bietet und die Flexibilitätsforderungen zudem durch allerlei überkommene Regulierungen wie Altersbeschränkungen konterkariert werden. Das nervt, und zwar besonders all diejenigen, denen es noch vergönnt war, in ihrem langen und autonomen Hochschulstudium - oder anderswo - ganz nebenbei zu lernen, was der Unterschied zwischen selbstbestimmter und fremdbestimmter Selbstständigkeit ist. In einer solchen Situation nun ist Kinderhaben einige der wenigen gesellschaftlich legitimierten, ja sogar recht großzügig subventionierten Möglichkeiten des Aussteigens. Mütter und zunehmend auch Väter sind die einzigen, die noch ganze Nachmittage lang in Parks und auf Spielplätzen abhängen können, ohne als Slacker zu gelten oder sich über ihre beruflichen Misserfolge grämen zu müssen.
Doch das Modell »Elternschaft als Ausweg und Protest« ist alles andere als ungefährlich. Meist sind es nämlich doch wieder die Frauen, die ihr Glück mit Hausgeburten statt mit Kopfgeburten versuchen. Die sich als Vollzeitmütter bald langweilen, doch in der Langeweile der kindlichen Liebe wegen einrichten. Oder die enttäuscht und überfordert sind als de-facto-Alleinerziehende, sich und den Kindsvätern das aber ungern zugeben wollen. Denn irgendwer muss ja in prekären Zeiten das Familieneinkommen erwirtschaften. Und nicht nur weil die Frau in Deutschland heute wieder stillt – wir wissen ja, die Abwehrkräfte –, sind das wie anno dazumal meist die Väter. Viele Mütter verzichten in solchen Situationen auf den Versuch eines qualifizierten beruflichen Wiedereinstiegs. Doch weil sie ihren Lebensstil vor sich selbst und vor anderen rechtfertigen müssen – denn sobald die Kinder das Kita-Alter erreicht haben, werden aus Hausfrauen und -männern tendenziell wieder Slacker – werden sie zu Supermüttern mit der zentralen Botschaft: Kinder, deren Eltern neben ihnen noch andere Interessen haben, ergeht es schlecht.
Doch selbst dieses Modell, das ja so manche heutige Großmutter nicht unbedingt zur eigenen Zufriedenheit perfektioniert hat, läuft aus. »Eigentlich will ich gar nicht erwerbstätig sein. Aber ohne reicht es finanziell vorn und hinten nicht« erzählte kürzlich eine zweifache Mutter, Freiberuflerin im Theaterbetrieb. Im Zweifelsfall wird es also die neue Ökonomie selbst sein, die mit dem Hausfrauen-Modell aufräumt und auch noch für das traditionellste, ja: patriarchalste aller Refugien jenseits ihrer selbst die Schließung veranlasst. So haben wir uns das nicht vorgestellt. .