Die Ökonomisierung verschiedenster Bereiche des menschlichen Lebens wird vielerseits beklagt. Das hat Appeal. Nur, warum eigentlich? Was ist problematisch an der Ökonomisierung? Eine mögliche Deutung des verbreiteten Unbehagens ergibt sich aus einem grundlegenden Begriff der Ökonomie: der Arbeit. Arbeit ist Tätigkeit, die unter der Ägide von bestimmten, ihr äußerlichen Zwecken erfolgt. Diese ganz allgemeine Beschreibung findet sich in dem ungewöhnlichen und faszinierenden Text »Vom Sinn des Lebens« von Moritz Schlick. Nicht nur Erwerbsarbeit oder produzierende Tätigkeit fällt unter diesen Begriff. Arbeit ist solchen Tätigkeiten entgegengesetzt, die entweder gar keinen Zweck verfolgen oder die selbstzweckhaft sind. Spiele oder künstlerische Aktivitäten können als Beispiele fungieren. Schlick bezeichnet in Kurzform alle selbstzweckhaften Tätigkeiten als Spiel. Selbstverständlich gibt es Tätigkeiten, die beides sind: Arbeit kann auch Spiel sein, Kunst auch Arbeit. Die meisten Menschen finden, dass das Leben nicht sinnvoll ist, wenn es ausschließlich aus Arbeit besteht. Wenigstens ab und zu wollen wir selbstzweckhaften oder auch sinnlosen Tätigkeiten nachgehen. Auch darauf weist Schlick hin, wenn er Nietzsche zustimmend kommentiert, dieser habe erkannt, dass das Leben solange keinen Sinn hat, wie es ganz unter der Herrschaft der Zwecke steht.
Arbeit und Spiel
Was bringt diese Unterscheidung von Arbeit und Spiel für die Bewertung der Ökonomisierung? Nun, offenbar regt sich Missfallen, wenn Bereiche des Lebens, die eigentlich selbstzweckhaften Tätigkeiten vorbehalten sind, dem Imperativ der Zwecke untergeordnet werden. Dieser Imperialismus der Zwecke ist eine Art, Ökonomisierung zu begreifen und ihre verbreitete Negativbewertung zu deuten. Wir wollen eben nicht, dass bestimmte Formen von Tätigkeiten zu Arbeit werden.
Warum finden wir beispielsweise den Ausdruck »Liebesarbeit« so unpassend? Warum wenden wir uns gegen die Ökonomisierung der Bildung? Weil Liebe und Bildung Sphären des menschlichen Lebens sind, in denen keine äußeren Zwecke leiten sollten, sondern die ihren Zweck in sich selber tragen. Das soll nicht implizieren, dass damit äußere Zwecke generell desavouiert wären. Nur sollten diese eben nicht zum ausschließlichen oder vorherrschenden Leitstern des Handelns werden.
Anscheinend hegen wir recht tief sitzende gesellschaftliche Überzeugungen, wofür Institutionen wie das das Bildungs- oder auch das Gesundheitssystem dienen sollen und was sie ausschließen. Doch erscheinen diese Deutungen alles andere als stabil. Das verbreitete Unbehagen etwa, das die Auswüchse des medizinischindustriellen Komplexes in der Wohlstands- und Konsumgesellschaft angeht, verflüchtigt sich heutzutage zusehends. Was den Einsatz medizinischer Mittel zur Verbesserung der individuellen Erscheinung angeht, bestehen kaum noch dieselben Vorbehalte wie noch vor ein paar Jahren. Heute laufen Doku-Soaps über Schönheitskliniken im Fernsehen. Warum nicht die Medizin individuellen Zwecken unterordnen? Das ist inzwischen keine illegitime Frage mehr.
Die Mehrung des Nutzens
Genau genommen scheint der Vorwurf der Ökonomisierung im engeren Sinne nicht darin zu bestehen, dass selbstzweckhafte Tätigkeiten überhaupt mit ihnen scheinbar fremden Interessen versehen werden, sondern darin, dass viele Bereiche des Lebens einem bestimmten Zweck geopfert werden, dem wesentlichen Zweck der kapitalistischen Arbeit: der Mehrung des Nutzens. Heutzutage sind wir multiple Arbeiter, Konkurrenten auf verschiedensten Märkten: dem Bildungsmarkt, dem Informationsmarkt, dem Schönheitsmarkt, dem Heiratsmarkt, dem Gesundheitsmarkt, dem Konsummarkt, dem Markt für soziale Beziehungen, dem Anerkennungsmarkt. Überall müssen wir uns mit anderen messen. Wir sollten uns verbessern, die Besten sein. Alles muss sich lohnen. »Was bringt mir das?« ist die Frage, an der sich alle Tätigkeiten, die unsere kostbare Lebenszeit verbrauchen, messen lassen müssen. Sie müssen sich auszahlen.
Wir müssen uns verschwenden
Wie kaum ein zweiter hat Georges Bataille in seinen Schriften diesen Aspekt moderner Gesellschaften, ihre durchdringende Orientierung am Nutzen, aufgedeckt. »Man muss durchaus zuallererst das Prinzip der neuen Welt aufstellen: das Nützliche ist der einzige Souverän, und das Spiel wird nur geduldet, wenn es dient« (»Spiel und Ernst«, in: Die Aufhebung der Ökonomie, S. 328). Dem nutzenorientierten Handeln entgegengesetzt ist bei Bataille die Verausgabung. Ihr widmet er einen Großteil seiner Schrift Der verfemte Teil. Verausgabung ist nutzlos, unproduktiv, zerstörend. Sie verweigert die Mehrung. Damit markiert sie aber auch den Bereich wahrer Souveränität.
»Was die Masse anzieht, ist die Existenz einer Region, in der das menschliche Wesen souverän handelt. Die Attraktion in ihrer Gesamtheit, gerade dieses Affentheater, bezeichnet in unseren Augen unseren souveränen Zweck, der darin besteht, uns nicht auf den Zustand eines Dinges reduzieren zu lassen, sondern bis zu einem Grade das zu sein, wozu die nützliche Arbeit dient: ein souveränes Wesen. Damit wird wesentlich ein Leben bezeichnet, das nicht länger vom Kalkül ferner liegender Zwecksetzungen bestimmt wird« (Georges Bataille, »Die Souveränität«, in: Die psychologische Struktur des Faschismus/Die Souveränität, S. 50).
Für Bataille zeigt sich gerade in der nutzlosen Tätigkeit – und damit auch im Spiel – die Souveränität des Menschen. Nichts liegt somit näher, als in der nutzlosen Verschwendung die richtige Strategie gegen das Nutzendenken, gegen den Imperialismus der Arbeit zu entdecken. Der neue Imperativ würde lauten: Wir müssen uns verschwenden!
Die Zerstörung als befreienden und souveränen Akt zu interpretieren, ist sicherlich ein verbreiteter Topos, wie er erst vor einigen Jahren wieder im Film Fight Club ausgelebt wurde. Wenn dort der private Konsumtempel und zu guter Letzt auch die Symbole kapitalistischer Macht gesprengt werden, dann verbleibt dies aber vollständig in der Logik des nutzenorientierten Denkens, nur dass sich die persönlichen Interessen des Helden verschieben. Vom arbeitenden Konsumenten zum arbeitenden Revolutionär. Nicht umsonst gebaren sich auch die Revolutionäre von heute wie Malocher, die sich pünktlich zum Protest einfinden, um danach in ihre Autos zu steigen und ihren verdienten Feierabend bei einem kühlen Bierchen zu genießen. Auch wer sich einer angeblich gerechten Sache widmet, bleibt der Logik der Subordination unter äußere Zwecke verhaftet.
Wenn schon die heutigen Formen scheinbarer Überschreitung keine geeignete Alternative zur Arbeit darstellen, kann nicht wenigstens der Charakter der Arbeit selbst verändert werden, kann sie nicht selbst zum Spiel werden? Schon Schlick hatte darauf hingewiesen, dass das Spiel durchaus schöpferische Aspekte beinhaltet und insofern Nutzen schaffen kann, ohne nutzenorientiert zu sein. Sein wichtigstes Beispiel ist die Kunst.
Kunst als Selbstzweck
Der mexikanisch-spanische Künstler Santiago Sierra überträgt nicht nur den Faktor Arbeit und damit ökonomische Zusammenhänge in seine Aktionen, sondern er transportiert damit eine provozierende Stellungnahme. Er bezahlt Unterprivilegierte und Arme für verschiedene Tätigkeiten, die das eigentliche Kunstwerk darstellen. So ließ er vier Arbeiter in einer Galerie eine freistehende Wand über mehrere Stunden am Tag halten, wobei eine weitere Person darauf zu achten hatte, dass die Wand in einem Winkel von 60 Grad geneigt blieb. Auf der Biennale in Venedig 2001 bezahlte er 133 Personen dafür, sich die Haare blond färben zu lassen. Einem Mann gab er 50 Dollar dafür, sich eine Linie auf den Rücken tätowieren zu lassen.
Natürlich besteht ein Reiz dieser Aktionen in der bewussten Integration eines scheinbar kunstfremden Elementes in die Kunst, nämlich der bezahlten Tätigkeit. Man könnte das in unserem Diskussionszusammenhang als bewusste Ökonomisierung der Kunst verstehen. Worauf es aber stärker noch ankommt, ist die Art der Tätigkeiten, für die Sierra seine Arbeiter bezahlt. Sie sind nämlich ausnahmslos sinnlos und sprechen damit unserer Auffassung von Arbeit als zweckgerichteter Tätigkeit Hohn.
Hier ergibt sich zunächst eine attraktive Spiegelung; denn nun wird eine arbeitsartige Tätigkeit in einem Kunstwerk präsentiert, wobei sie genau das Kriterium erfüllt, das für künstlerische Produktion in Anschlag gebracht wird, nämlich selbstzweckhaft zu sein. Genauer betrachtet wird aber klar, dass diese Verrichtungen eigentlich zwecklos sind – ohne jeden Zweck. Und hierin begründet sich die erwähnte Stellungnahme. Es transportiert eine Kritik an heutigen Lebensverhältnissen, die Menschen Dinge tun lassen, die absolut sinnlos sind. In Sierras Kunst findet man Unterstützung für die Auffassung, dass Arbeit zweckgerichtet sein soll; dass nicht zweckhafte, nutzlose Arbeit abzulehnen ist. Was die von ihm bezahlten Tätigkeiten so ablehnungswürdig macht, ist ihre Sinnlosigkeit.
Sphärentrennung
Wenn man also der Meinung anhängt, dass es an der Ökonomisierung der Lebenswelt etwas auszusetzen gibt, dann scheint die einzig überzeugende Strategie dagegen darin zu bestehen, eine recht strikte Sphärentrennung zwischen Arbeit und zweckfreien Tätigkeiten zu propagieren. Arbeit soll Arbeit sein und Spiel Spiel. Das heißt weder, dass Arbeit nur Arbeit sein soll, noch Spiel nur Spiel. Doch soll Arbeit eben nicht nur Spiel und Spiel nicht nur Arbeit sein. Kurz, wenn Lebensbereiche, die von spielerischen, also zweckfreien Tätigkeiten geprägt sind, dem Imperativ des Nutzendenkens vollständig untergeordnet werden, dann ist das zu kritisieren. Die Ökonomisierung des Lebens ist problematisch, wo sie sich in imperialer Form zeigt.
Weiterführende Literatur
Moritz Schlick, »Vom Sinn des Lebens«, Symposion 1 (1927), S. 333f. in: Christoph Fehige u.a. (Hrsg.), Der Sinn des Lebens, München, 2000, S. 309–322.
Georges Bataille, »Spiel und Ernst«, in: Georges Bataille, Die Aufhebung der Ökonomie, München, 2001.
Georges Bataille, »Die Souveränität«, in: Georges Bataille, Die psychologische Struktur des Faschismus/Die Souveränität, München, 1978.