Eine neue Perspektive auf das weibliche Geschlecht: Das war eines der Ziele des Feminismus der sechziger und siebziger Jahre. Und frau hielt es für einen revolutionären Akt, das wörtlich zu nehmen und endlich genau hinzuschauen. Es musste schließlich bewiesen werden, dass dort, wo verblendete Freudianer nur eine Kastrationswunde vermuteten, keine Leerstelle war, kein subjektloses Nichts: sondern ein Etwas, das Zentrum weiblicher Lust nämlich. Die Wienerin Valie Export filmte ihre Klitoris in Großaufnahme, in der Badewanne, beim Masturbieren mit dem Wasserstrahl. Ihre männlichen Kollegen des Wiener Aktionismus hielten derweil ihre Pimmel ins Bild. Das sah radikal aus. Aber nicht wirklich lustig.Und so war es eine echte Entdeckung, in der Ausstellung „Kunst der Projektion" im Hamburger Bahnhof in Berlin den selten gezeigten Film „Christmas on Earth" der Amerikanerin Barbara Rubin zu sehen. Rubin, damals ein junges Mädchen aus dem jüdischen Bürgertum, war mit ihrer Kamera in Warhols Factory geraten. Sie war es, die Warhol mit The Velvet Underground bekannt machte; und ihr einziges wirkliches Kunstwerk ist der 29-minütige Schwarz-Weiß-Film. Sie hatte dafür 1972 eine Weihnachtsparty gefilmt, oder genauer, eine Weihnachtsorgie. Wenn sich ihre Kamera in eine Vagina versenkt, dann nicht in polemischer Absicht, sondern mit unschuldiger Neugier. Zitternd tastet der Schwarz-Weiß-Film eine Klitoris ab, die von ein paar Fingern sichtlich gut behandelt wird; die nächste Einstellung freut sich ausführlich an einem erigierten Penis, der sich genüsslich an einem paar Händen reibt. Die Leute liegen herum, hängen ineinander, aufeinander: Es scheint ewig so weiter zu gehen mit dem Raus und Rein und der feuchten Freude. Wenn der Film gezeigt wird, so die Anweisung der Künstlerin, müssen Helfer wechselnde bunte Filter davor halten, und Musik wird auch gespielt. Und kurz erinnert man sich: Sex in der Kunst ist nicht nur Politik. Sex im Film ist nicht nur kommerzialisierter Hochleistungsport. Eigentlich ist Sex - einfach nur schön.
Die Ausstellung „Jenseits des Kinos: Die Kunst der Projektion. Filme, Videos und Installationen von 1963 bis 2005" war vom 29. September 2006 bis zum 25. Februar 2007 im Hamburger Bahnhof in Berlin zu sehen.