Sozialkritische Romane sind wichtig. Waren sie immer, sind sie um so mehr in Zeiten wie diesen. Brauchen wir uns nicht drüber zu unterhalten. Reden wir lieber über etwas anderes, was trotz Arbeitslosigkeit und sozialer Härte noch Spaß macht. Über die kleinen Freuden des Alltags. Müsli-Joghurt mit Birnenstückchen. Oder über die großen. Sex. Vielleicht ist es schlimm, dass Tanja von Sozialhilfe lebt, aber dann auch wieder ein Glück, denn sonst würde sie nicht Herrn Berg treffen, ihren Sachbearbeiter. Sie ist sein Sozialfall und er ganz der ihre, und so helfen sie einander. Es ist ein starkes Stück, aus dieser Konstellation eine amour fou zu machen, ohne Moral und ohne Respekt, weder vor Amt noch Armut, und vor allem ohne Rücksicht auf eine "engagierte Literatur". Diese Literatur engagiert sich sehr wohl, aber nicht fürs Soziale, fürs Politische, sondern für die fixen Ideen und Überlebensstrategien ihrer Figuren.Das Buch will keine Politik machen, sondern Polemik, Polemik fürs Ich, für das unveräußerliche Recht eines jeden, sich durchzuwurschteln und dabei, nach Abzug aller Härten, Zwänge und Widrigkeiten, ein Maximum an Lebensgenuss herauszuholen. Das geht fast nie so gut aus, wie man will, aber man darf es ruhig probieren. Spaß macht allein schon der Versuch, das merkt man an der Sprache. Eine schnelle Sprache, direkt, greifbar, in verschiedenen Schrifttypen gedruckt, eine für sie, eine für ihn. Sie verstehen sich nicht, die "Titanic" und der Herr Berg, und wahrscheinlich stoßen sie nur deshalb zusammen, rettungslos. Kein Happy End, nirgends, weder auf dem Arbeitsmarkt noch in der Liebe. Aber trotzdem ist es so erleichternd, so befreiend zu lesen, dass das Empfangen von Sozialhilfe nicht zwangsläufig ein Gefühl von Wertlosigkeit oder ein schlechtes Gewissen produzieren muss, sondern lustvoll sein kann. Und zwar in diesem Fall so sehr, dass es einen Mehrwert durch Vermehrung produziert.
Kirsten Fuchs, Die Titanic und Herr Berg, Rowohlt 2005, 285 Seiten