„Vorbei! ein dummes Wort!“, hat der Teufel am Grabe Fausts gesagt und damit selbst ein dummes Wort in die Welt gesetzt. Denn kaum ein deutscher Ausdruck lässt so sehr aufatmen und kann dabei doch ebenso deprimiert stimmen. Man braucht dieses Wort, um anzudeuten: Es ist überstanden, aber es ist auch für immer verloren. Gut und schlecht zugleich, dass alles nicht mehr so ist, wie es einmal war, ja, verwirrender noch: Am Ende war es gar nicht wirklich so, wie man heute meint. Erst die im „Vorbei!“ anklingende Erinnerung an etwas, das durchaus hätte genau so gewesen sein können – man kann dies Retro-Utopie nennen – lässt weiter hoffen.
Wer eine volle Dosis „Vorbei!“ braucht, muss Jean-Jacques Rousseaus kulturkritische Frühschriften entstauben und dabei Peter Lichts Lied vom Ende des Kapitalismus („Jetzt ist er endlich vorbei!“) in Endlosschleife hören. In dieser doppelten Abschiedsstimmung ist eine zweifache Trennungserfahrung nachzuholen, die einem den Sinn von Utopien neu erschließt. Es war bekanntlich Ernst Bloch, der paradigmatisch für eine ganze Generation von unter Utopismus leidenden Wohlstandsrabauken eine Philosophie des „Noch Nicht“ formuliert hat. Rousseaus frühe Kulturkritik und Lichts neue CD sind Blochs Counterpart: eine einzige Philosophie des „Vorbei“.
Wir müssen „zurück“, zu unseren Wurzeln, zur Natur – so jedenfalls wird Rousseau von vielen seiner Anhänger und Kritiker gelesen. Natürlich hat er selbst das gar nicht ernst gemeint. Ihm war klar, genauso wie sich Licht darüber im Klaren ist, dass die kapitalistische Moderne so bald nicht, ja, vielleicht niemals enden wird. Merkwürdig nur: Rousseau blickt schwermütig zurück auf eine Zeit ganz ohne Kapitalismus und Licht singt eine melancholische Abschiedshymne auf eine Zeit voller Kapitalismus. Man hat von diesem rhetorischen Doppeltrübsinn zu lernen: Nichts wird so sein, wie es einmal war, aber zugleich gilt auch: Nichts war so schlimm, wie es dereinst scheinen wird. Sicher: Es hätte alles ganz anders sein können. Wenn aber das, was ist, sich ändern lassen soll, muss das, was war und zugleich ja auch nicht war, zurückgelassen werden. Das Vergangene ist nicht tot, es ist noch nicht einmal vergangen.
Peter Licht: Lieder vom Ende des Kapitalismus, Audio CD, Edel Music, 28. April 2006
Peter Licht: Wir werden siegen! Buch vom Ende des Kapitalismus, München: Blumenbar 2006, 157 S.
Jean-Jacques Rousseau, Schriften zur Kulturkritik (zweisprachige Ausgabe, hg. von Kurt Weigand), Hamburg: Meiner 1995, 376 S.