La Sortie des Usines Lumière (1895) ist der Ausgangspunkt für Harun Farockis Found-Footage-Film Arbeiter verlassen die Fabrik (1995), in der die Filmgeschichte auf Bilder industrieller Arbeitsstätten hin befragt wird. Geradezu programmatisch steht an ihrem Anfang eine Bewegung der Abstandnahme. Der Film konstituiert sich nach der Arbeit, in Distanz zu ihr, jenseits der Fabriktore. Das Kino hat die Fabrik als Schauplatz und Sujet stets gemieden. Das Fließband bei Chaplin, die Schlachthöfe in den Filmen von Franju und Wiseman, Godards Arbeiterinnen-Schablonen und Verhoevens postfordistische Showgirls bilden dazu die sichtbarste Gegenlinie - ohne die etablierten Repräsentationsverhältnisse nachhaltig irritiert zu haben. Wang Bings monumentaler Dokumentarfilm Tiexi Qu - West of the Tracks (1999-2001) formuliert insofern einen knapp neunstündigen Einspruch (auf den Festivals lief 2003 eine fünfstündige »Kurzversion«): Ein insistierender Film, der in den konkreten Orten der Produktion ausharrt. Das Tiexi-Viertel der chinesischen Provinzhauptstadt Shengyang war nach der Kulturrevolution bis in die späten 1980er Jahre das Zentrum der dirigistisch gelenkten Schwerindustrie. In den 1990er Jahren setzte parallel zu Chinas forciertem Eintritt in den Weltmarkt ein unumkehrbarer Niedergang der Staatsunternehmen ein, der zu Massenentlassungen und Pauperisierung führte. Wang Bings kaum subjektiv zu nennende DVKamera hält die Abwicklungsphase dieses epochalen Transformationsprozesses fest: Die riesigen Stahlhütten, Kupfer- und Zinkgießereien sind im Zustand unvollständiger Demontage zu Ruinen erstarrt; vor den letzten Hochhöfen, die noch in Betrieb sind, verrichten Arbeiter ohne Schutzkleidung ihre Schicht, in klaustrophobischen Pausen- und Duschräumen finden sie keine Erholung. Ein Endspiel der Arbeit, ohne utopischen Horizont; gezeichnete Körper, deren Ausbeutung in aufrecht erhaltenen Arbeitsroutinen auslaufender Produktivität paradox kulminiert. Seit 2003 gehört Shengyang offiziell zu den »prioritären Entwicklungszonen« Chinas; zahllose High-Tech-Firmen und eine neue Mittelschicht haben das Tiexi-Viertel inzwischen revitalisiert. In fast schon apokalyptischen Bildern hält Wang Bing die alten, inhumanen Arbeitsformen im Moment ihres Verschwindens fest und gibt eine Ahnung von den nachfolgenden Exklusionseffekten einer radikal beschleunigten Modernisierung ohne Beispiel.
Wang Bing, Tiexi Qu – West of the Tracks, erschienen bei mk2 (A l’ouest des rails); 4 DVDs, Regionalcode 2, franz. Untertitel, ca. 40 Euro