





polar #7: Ohne Orte
EDITORIAL
KURS
KAMPF
KONVENT
SCHÖNHEITEN
Arnd Pollmann Tyrannei der Schönheit Demokratie als Beauty-Farm: Tocqueville, Vian und die ästhetische Chirurgie
| Oliver Kohns Rot/Weiß Nachbarschaft, Rassismus, Völkermord: John Hustons The Unforgiven
| Johannes Kambylis Das Steppenschwein Anarchische Kapriolen: Die Kronenklauer von F. K. Waechter und Bernd Eilert
| Susann Neuenfeldt/Simon Strick Die ewige Stadt Auf Bruch: Brecht/Müller in der JVA Tegel
| Christoph Raiser Wie dem auch sei Zeit für eine Neuauflage: Das Europäische Parlament
| Julia Roth Fragiler Sieg Abortion Democracy von Sarah Diehl
| Martin Roussel Eine gute Idee »Democracy don’t rule the world«: Dylans 83er-Album Infidels
| Daniel Ulbrich Blutwurst Herr Demos und seine Sklaven: Aristophanes’ Die Ritter
| Jens Friebe Hammer Auf verlorenem Posten: Im Baumarkt mit Slavoj Žižek
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Anja HöferNicht echtTalk to end all talk: Christoph Schlingensiefs Die Piloten | Für Christoph Schlingensief gibt es keine Trennung zwischen Kunst und Leben. Zu seinem Leben gehört seit Anfang 2008 die Diagnose Lungenkrebs. Auch daraus, aus allem, was die Krankheit an Wut, Entsetzen und Angst bei ihm auslöste, hat er Kunst gemacht. Wenn Kunst und Leben eins sind, wie steht es dann um das Verhältnis von Medien und Wirklichkeit, von Inszenierung und Wahrhaftigkeit? Dieser Frage spürt die Dokumentation Die Piloten nach, die 2007, ein Jahr vor Schlingensiefs Krebs-Diagnose, entstanden ist. »Talk to end all talk« lautet das Motto des Projekts. Schlingensief lädt zu Gesprächsrunden in bizarrster Konstellation ein (u.a. Hermann Nitsch, Gotthilf Fischer, Jürgen Fliege), die – als so genannte »Piloten« – niemals im Fernsehen ausgestrahlt werden. Formal wie inhaltlich wird das Prinzip Talkshow also völlig dekonstruiert, was bei Schlingensief heißt: in größtmöglichem Chaos an die Wand gefahren. Man könnte das alles für eine riesige sinnfreie Albernheit halten und dem Rapper Sido zustimmen, der vor der »Sendung« einmal prophezeit: »Isch glaube, heute wird viel Scheiße gequatscht«. Aber wie so oft bei Schlingensiefs – das Ungeplante sehr genau kalkulierenden – Kurzschlüssen, gibt es einige große und sehr berührende Momente. Einmal kann man Christoph Schlingensief dabei zusehen, wie er sich in seinem eigenen haltlosen Experiment emotional regelrecht verheddert. Sein Vater liegt ganz real im Sterben. Und auch dies wird in eine mediale Inszenierung überführt: Schlingensief streichelt in der Talkshow die Hand eines Schauspielers, der seinen Vater darstellt. Nach der Sendung ist er vom Gedanken an den sterbenden Vater, aber auch über den Zynismus seiner Inszenierung zu Tränen erschüttert. Er weint. Ein Moment größter Wahrhaftigkeit. Doch Schlingensief schaut mit verheulten Augen ins Objektiv und sagt: »Ja das ist ja jetzt auch scheiße. Mit der Kamera ist das auch nicht echt.« Es gibt also tatsächlich kein richtiges Leben im falschen – zumindest nicht im falschen Medium. |
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