





polar #7: Ohne Orte
EDITORIAL
KURS
KAMPF
KONVENT
Anna-Catharina Gebbers Der Agora-Effekt Von der neuen Zusammenkunft in der Kunst
| Paula Marie Hildebrandt Die Politikflüsterer Vom Mehrwert des Unverwertbaren
| Interview Rita Thiele »Künstlerische Begabung ist kein Gut, das demokratisch verteilt wird«
| Bonnie Honig Die Chancen der Demokratie Slumdog Millionaire und die Logik des globalen Kapitalismus
|
 |
Stephan ErtnerGehorsam und AuseinandersetzungDemokratie als Aufgabe der Schulentwicklung | Demokratie in der Schule ist uninteressant. Das war jedenfalls in den neunziger Jahren herrschende Meinung auf dem Schulhof eines südhessischen Gymnasiums, einer ganz durchschnittlichen Schule, die in einem hübschen Schloss einer Kleinstadt residierte. Zwar gab es dort mit der SV, der demokratisch gewählten Schülervertretung, ein institutionalisiertes Mitspracheorgan, das sich für die Belange der Schülerinnen und Schüler einsetzte. Aber der Ruf der Schülervertreter war ambivalent – um das Mindeste zu sagen. Was das Schlimmste war: Das Engagement in der Schülervertretung konnte rufschädigend sein. Sich dort zu betätigen, setzte jeden der realen Gefahr aus, in den Augen der anderen als Nerd oder Streber zu gelten.
Für diejenigen, denen Gefahr oder Ruf egal waren, hat sich das schulpolitische Engagement häufig gelohnt. Denn die Schülervertretung scheint als Propädeutikum für die spätere Karriere in der Politik gut zu funktionieren. Gleich mehrere der ehemaligen Schülervertreter sind heute in der professionellen Politik gelandet. Aus Schulsprechern wurden Landtagsabgeordnete.
Für die große Mehrheit der Mitschüler hatte die Mitsprache und der Einsatz für die eigenen Belange im Lebensraum Schule keine große Bedeutung. Für viele verlor sich der Reiz der schulinternen Demokratie schon in den sehr formalisierten Verfahren der Mitsprache und durch die letztlich eng begrenzten Mitwirkungsmöglichkeiten in der nicht eben demokratisch verfassten Organisation Schule. Schülervertretung, das bedeutete häufig bloß Simulation der großen Politik in der kleinen Welt der Schule. Das hat die meisten einfach nicht interessiert.
So blieb Demokratie für viele ausschließlich ein Lernstoff im Unterricht. Das Potenzial der aktiven demokratischen Teilhabe, die Motivationsquelle des individuellen Engagements für den Erwerb demokratischer Handlungsfähigkeit blieb weitgehend ungenutzt. Dieser Befund gilt auch heute noch für die meisten deutschen Schulen.
Erziehung zur Demokratie
Die Erziehung zur Demokratie gehört zu den zentralen Bildungsaufträgen der Schulen in de Bundesrepublik. So steht es in den unterschiedlichsten Formulierungen als Bildungsziel in allen Landesschulgesetzen und in den Rahmenrichtlinien für das Fach Politik/Sozialkunde. Und Demokratie ist unbestreitbar Teil der schulischen Curricula: Die historische Entwicklung der Demokratie wird mit Zwischenstopps in Griechenland, Rom, Frankreich und den USA im Geschichtsunterricht durchgenommen. Die ersten und zweiten demokratischen Versuche in Deutschland ebenso. Auch das politische System der Bundesrepublik, Aufbau und Funktionen seiner Institutionen und seine Entstehung in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus stehen auf dem Lehrplan.
Geht es in der Schule um Demokratie, dann wird sie also in erster Linie als Herrschaftsform behandelt. Der Unterricht zielt auf die Vermittlung von Kenntnissen über die repräsentative Demokratie, auf die Aneignung und Memorierung mehr oder weniger trägen Wissens über geschichtliche Daten, über Strukturen, Verfahren und Prinzipien.
In der Verfolgung des Bildungsauftrags Demokratie bleibt die Schule damit hinter der Entwicklung der klassischen Fächer zurück. Dort setzt sich bereits seit einigen Jahren die Orientierung auf Handlungskompetenzen durch. So formulieren die Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz Kompetenzen, die zahlreichen PISA-Studien untersuchen Kompetenzniveaus. Als Ziel und Maßstab schulischen Lernens gilt die Befähigung zum Handeln der Schülerinnen und Schüler, nicht die Kenntnis kanonischer Wissensbestände.
Für das Demokratielernen gilt das weit weniger. Selbstverständlich ist das Wissen über Demokratie notwendig, aber die Vermittlung als Denkmodell reicht nicht aus. Es bedarf auch der Anleitung zur tätigen Selbständigkeit. Demokratie verlangte immer schon mehr als andere Herrschaftsformen: Anstelle von Ergebenheit und Gehorsam ist sie auf kritische Auseinandersetzung mit den öffentlichen Angelegenheiten und auf Verantwortungsübernahme angewiesen. Der Erwerb demokratischer Handlungskompetenz wird jedoch immer entscheidender als persönliche Ressource in einer Gesellschaft, in der kooperatives und eigenverantwortliches Handeln weiter an Bedeutung gewinnen dürfte.
Neben das Lernen über Demokratie muss in der Schule das Lernen für Demokratie und das Lernen durch Demokratie treten. Die Entwicklung einer demokratischen Schulkultur, die Erfahrung von Demokratie durch Handeln rücken damit in den Blickpunkt. Denn Lernen für Demokratie ist Erfahrungslernen. Es zielt auf die Befähigung für das Agieren in sozialen Kontexten.
Demokratie lernen und leben
Ein solches Verständnis ist in Deutschlands Schulen noch wenig verbreitet. Daran hat auch ein bundesweites Vorhaben der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung nicht viel ändern können. An dem Programm »Demokratie lernen & leben« haben sich von 2002 bis 2007 rund 170 allgemeinbildende und berufliche Schulen aus 13 Bundesländern beteiligt. Leitgedanke des Programms war es, Demokratiepädagogik als Aufgabe der Schulentwicklung zu betrachten. Die demokratische Schule kann sich nicht darin erschöpfen, demokratische Herrschaft samt ihren repräsentativen Institutionen in der Schule zu simulieren. Es geht vielmehr um angemessene Formen der Partizipation, um die Einführung von Aushandlungsforen und die Verantwortungsübernahme durch Schüler. Die Schule soll nicht länger nur der Ort sein, an dem man lernt, wie die Demokratie »out there« funktioniert, sie muss zum Ort werden, an dem man lernt, selbst demokratisch zu handeln, an dem ein demokratischer Habitus erzeugt wird.
Dazu müssen die Strukturen der Schule entsprechend geändert werden. Benötigt werden Orte wie Klassenräte oder Schulkonferenzen, an denen folgenreiche Entscheidungen ausgehandelt werden können. Aber auch der Unterricht selbst muss sich ändern und stärker auf partizipative Lernformen setzen. Weit mehr als im klassischen fragend-entwickelnden Lehrer-Schüler-Gespräch weist beispielsweise der Projektunterricht den Lernenden eigene Rollen zu, verlangt die aktive Übernahme von Verantwortung und die Verständigung mit den anderen Beteiligten. Die an einigen Schulen entstandenen Schülerfirmen zeigen eindrucksvoll, wie Projekte das Engagement von Schülerinnen und Schülern überhaupt erst entstehen lassen und wie Projekte an die fachlichen Lernwelten rückgebunden werden können.
Labile Demokraten
Ganze 17 Jahre ist es her, dass »Politikverdrossenheit« in Deutschland zum Wort des Jahres gekürt wurde. Zahlreiche Studien belegen, dass wir es mit einem recht stabilen Trend zu tun haben. Jüngst hat die AG Hochschulforschung der Universität Konstanz im Auftrag des Bundesbildungsministeriums eine Studie über den Wandel politischer Orientierungen und gesellschaftlicher Werte bei Studierenden vorgelegt. Die Ergebnisse in Kürze: So wenig Interesse an Politik war noch nie. Nur 37 Prozent der 88.000 befragten Studierenden der Jahres 2007 erklärten, nennenswert an Politik interessiert zu sein. 1983 waren es noch 54 Prozent. Die Studie spricht deshalb von einer »Schwächung des demokratischen Potenzials in Deutschland«. Zu beobachten sei ein Rückzug ins Private und weniger Engagement in öffentlichen Angelegenheiten. Fast 40 Prozent ihrer Befragten ordnen die Forscher in die Gruppe »labile Demokraten« ein. Sie begreifen sich nicht als Gestalter ihrer eigenen Umwelt, ihnen fehlt die motivationale Basis für persönliches Engagement.
Schulen, die sich die Ausbildung stabiler Persönlichkeiten mit demokratischen Habitus zur Aufgabe machen, sind dringend benötigt. Noch erleben viele Jugendliche und Kinder Schule als lähmend und demotivierend. Viele erfahren die dort an sie adressierten Anforderungen als sinnlos und sehen Schule als Teil des Problems, das zu Demokratieverdrossenheit erst beiträgt. |

| Martin Saar Bildpolitik: >Ort der Demokratie<
| Ina Kerner Leben im Kapitalismus: >Demosex<
|
SCHÖNHEITEN
Diese Seite steht zur Zeit nicht zur Verfügung. |
|

nach oben

|
|
 |
|