Was »Ökosex« sein könnte, hab’ ich lange nicht gewusst. Und ich wollte es ehrlich gesagt auch nicht wissen. Trotzdem hab ich mich gefragt, was das Wort soll, vor allem als Titel einer Kolumne in der taz. Sein Erfinder hat es dann letztens erklärt, übrigens bei einer zwar schlecht besuchten, aber ansonsten guten polar-Veranstaltung in Berlin. Er wolle dem linken Kreativbürgertum das Ökothema nahe bringen, sagte Peter Unfried, Vizechef der tageszeitung. »Ökosex« sei als Plädoyer gedacht und meine soviel wie: Ökologie ist sexy. Unsexy ist dann zum Beispiel das Bedürfnis nach einem Weißweinkühlschrank. Insgesamt kam das beim Publikum nicht so gut an, aber das war auch mehrheitlich berlinisch, und bekanntlich ist Berlin arm und hat andere Sorgen. Was die Sache mit der Sexyness ein bisschen kompliziert macht, aber sei’s drum. Hier soll es ja nicht um Öko-, sondern um Demosex gehen. Und damit ist – langer Vorrede kurzer Sinn – nicht Sex bei Kundgebungen gemeint, sondern demokratischer Spaß, das Wissen darum, dass demokratisches Handeln lustvoll sein kann. In den letzten Jahren ist das eher zurückgegangen, so dass es nicht weiter verwunderlich wäre, wenn Sie jetzt dächten: »Demosex«, wie bescheuert ist das denn. Und Sie hätten ja Recht. Zumindest was das Wort angeht. Dass man heutzutage auf die Idee kommen kann, zu Werbezwecken solche Begriffe zu erfinden, ist allerdings ein Symptom, und zwar für Entdemokratisierung und dafür, dass sich zu viele dran gewöhnt haben.
Erlauben Sie also bitte einen kleinen nostalgischen Rückblick, und zwar ins Bonn der frühen neunziger Jahre, wo im Regierungsviertel Helmut-Kohl-Postkarten verkauft wurden und im Sommer Hunderte angehender Langzeitstudentinnen ihre Nachmittage auf der Hofgartenwiese verschwendeten. In dieser Idylle besuchte ich ein aufregendes politologisches Proseminar. Es hieß: »Demokratie im Gesamtstaat, Demokratie in Teilbereichen von Staat und Gesellschaft.« Der Dozent, ein akademischer Oberrat, der mir ein paar Semester vorher schon »Sprache als Mittel der Integration. Karl Schillers Konzertierte Aktion als Beispiel« als Titel meiner ersten Hausarbeit ever anempfohlen hatte (heute versuche ich’s mit »Demosex«, Sie sehen schon…), bat in den Wochen vor Semesterbeginn in seine Sprechstunde und fragte ab, was wir am angekündigten Thema interessant fänden. Wenn er genügend Aussagen beisammen hatte, machte er daraus einen Seminarplan. Bei »Demokratie« lag der Schwerpunkt bei Organisationen. Susanne, die ein Ballettstudium abgebrochen hatte, da sie den hierarchischen Geist am Konservatorium nicht ertrug, machte was zum Kulturbetrieb. Der Gewerkschafter Knut befasste sich mit der IG Metall, Alfred mit Beschäftigungsgesellschaften, Christel vom Bauernhof mit Greenpeace, ich selbst schrieb über die taz als »Alternativbetrieb zwischen Demokratie-Ansprüchen und Struktur-Wirklichkeit« (damals gab es dort noch Bereichsplena statt Vizechefs, Sie sehen schon…) und nachmittags, auf der Hofgartenwiese, diskutierten wir alle zusammen über strukturelle Bedingungen selbstbestimmt-demokratischer Organisationsmuster und planten Aktionen unserer Fachschaftsgruppe. So war das damals an der Uni, und es machte großen Spaß.
Und heute? Letztens wurde mal die Sitzung eines wichtigen Hochschulgremiums hinter vorgehaltener Hand als »Sternstunde der Demokratie« gelobt, weil es tatsächlich gelungen war, etwas auf dem offiziellen Verfahrensweg verabschieden zu lassen, obwohl das Präsidium dagegen opponiert hatte. Im Vorfeld war viel Politik gemacht worden, aber an »Demosex« hatte dabei niemand gedacht. Eher daran, wie man ein schlechtes Ergebnis abwenden könne, oder auch daran, so zu verhandeln, dass die Gegenseite das Gesicht wahren kann. Klar, in der Sternstunde kam dann große Freude auf – aber das ist für Sternstunden typisch und hing vor allem mit dem Ergebnis zusammen. Dem Output, wie man in der Governance-Forschung heute sagt. Was den Input, den Entscheidungsprozess angeht, war die Sache weit weniger erquicklich. Hierarchisierte Strukturen sind nämlich ziemlich unsexy.
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