Das schönste Gesicht des Sozialismus, und gemeint ist nicht Katharina Witt, ist ein wenig pausbäckig, trägt leichtes Rouge und sitzt in einem riesigen Stahl- und Walzwerk, das von heute aus betrachtet, auch Ende des 20. Jahrhunderts noch so aussieht wie ein Museum der industriellen Revolution. Das schönste Gesicht des Sozialismus sitzt in einem kleinen Führerstand zwischen lauter dreckigen Männern und aus seinem Mund fallen Worte wie beleidigte Klumpen, weil die thüringische Mundart nicht dafür gemacht zu sein scheint, dass ihr Fremde sich darin wohlfühlen.
»Katrins Hütte« heißt der Dokumentarfilm, den Joachim Tschirner zwischen 1986 und 1991 in der Maxhütte Unterwellenborn gedreht hat und den nun die Vorbereitung auf 20 Jahre Wende in die Programmreihen von Kinos gespült hat. »Katrins Hütte« handelt von Katrin Hensel, einer so genannten Blockwalzerin, die aus ihrem Führerstand einen metallurgischen Prozess begleitet mit Bleistiftstrichen, erratischen, per Telefon übermittelten Kommandos und einer vordigitalen Form der Datenerfassung an einem Gerät, dessen Gehäuse aus Holz ist. Man erkennt noch in der Wahl der Protagonistin die Arbeitsbedingungen in der DDR, deren Auflösung der Film dann protokolliert: Sie ist konform. Keine Dissidentin, sondern eine hübsche, junge, kluge Frau, die in der Männerwelt des staatswichtigen Betriebs besteht und sich mit blauer Bluse in die letzte Reihe der Volkskammer setzen lässt. Neben allem ist »Katrins Hütte« ein Film über die Sprache, die sich vorsichtig aus den Hüllen schält, in der sie in der DDR gefangen war, damit alles bleibt, wie es richtig ist. Und so öffnet sich das Beleidigt-Klumpige allmählich und verfeinert sich zu etwas, das nur der Protagonistin zu gehören scheint. Als Katrin Hensel am 18. März nach Hause kommt und ihr Mann vor dem Fernseher sitzt, aus dem Helmut Kohl über die gewonnene Volkskammerwahl spricht, entfährt ihr: »Den kann ich jetzt nicht ertragen.« Und der Mann sagt: »Er ist überall.«
Tatsächlich ist Helmut Kohl überall, wo Dokumentaristen die Zeit zwischen Mauerfall und Einheit festgehalten haben. »Im Glanze dieses Glückes«, eine Kooperation von ost- und westdeutschen Regisseuren in der Zwischenzeit, »Letztes Jahr Titanic«, der dritte Teil einer Leipzig-Wende-Dokumenation, und »Kehraus«, eine Beobachtung von Gerd Kroske unter Leipziger Straßenfegern, zeigen alle Ausschnitte von Kohls Auftritt 1990 in der so genannten Heldenstadt – wie er vom Balkon der Oper auf den Augustusplatz, der damals noch Karl-Marx-Platz hieß, spricht, posaunt. Es sind beängstigende Szenen, die da zu sehen sind, wo nur nüchtern gefilmt und von heute gesehen wird: die Schieflage zwischen dem feisten Politprofi, der sich staatsväterlich gibt, der kritisch naiven Masse, die ihre eben noch lebendige Heilserwartung an einen Mann heftet, der zum Heilsbringer nicht taugt; die nationalistischen Untertöne, die Kohl gefällig bedient, in dem er ein erst wieder zu identifizierendes Sachsen mit der großen Welt verknüpft.
Es findet eine Art Umgraben statt, hat der Filmemacher Thomas Heise in einem Interview über die Wende gesagt, und so gesehen ist Helmut Kohl der Totengräber dieses Prozesses. Heises monumental-fragmentarischer Essay »Material«, der aktuell aus lauter Resten montiert ist, aus Aufnahmen, die in keinen Film gepasst haben, erzählt diese Bewegung ohne Helmut Kohl. »Material« ist das genaueste Panoptikum der Wende, weil es nicht hitzige Aktualität befriedigen will, sondern subtil Verbindung hält zu dem, was lange vorher gewesen ist, und dem, was noch kommen wird. Konkretionen, die mehr bedeuten als ihren Augenblick. Die Menschen finden zu einer Sprache, die schöner nie war, ist, sein kann. In einem Gefängnis reden Wärter und Gefangene im Dezember 1989 gemeinsam von einer Utopie. Am Tag vor dem Mauerfall stehen enttäuschte Parteisekretäre vor dem ZK-Gebäude. Irgendwann kommt Egon Krenz, der kein Heilsbringer ist und noch nicht mal Helmut Kohl. Ein Mann von der Feuerwehr Berlin-Mitte sagt den Satz: »Ich stehe mit schmerzendem Herzen vor den Scherben meiner Parteiarbeit.« Das ist Lyrik.
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