





polar #7: Ohne Orte
EDITORIAL
KURS
KAMPF
KONVENT
SCHÖNHEITEN
Arnd Pollmann Tyrannei der Schönheit Demokratie als Beauty-Farm: Tocqueville, Vian und die ästhetische Chirurgie
| Oliver Kohns Rot/Weiß Nachbarschaft, Rassismus, Völkermord: John Hustons The Unforgiven
| Johannes Kambylis Das Steppenschwein Anarchische Kapriolen: Die Kronenklauer von F. K. Waechter und Bernd Eilert
| Susann Neuenfeldt/Simon Strick Die ewige Stadt Auf Bruch: Brecht/Müller in der JVA Tegel
| Christoph Raiser Wie dem auch sei Zeit für eine Neuauflage: Das Europäische Parlament
| Julia Roth Fragiler Sieg Abortion Democracy von Sarah Diehl
| Martin Roussel Eine gute Idee »Democracy don’t rule the world«: Dylans 83er-Album Infidels
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Daniel UlbrichBlutwurstHerr Demos und seine Sklaven: Aristophanes’ Die Ritter | Als Freund der Demokratie gilt Aristophanes nicht. In die Geschichte ist er vielmehr als Parteigänger der Aristokraten eingegangen, denen er als Chor der Ritter in seiner gleichnamigen Komödie ein Denkmal gesetzt hat. Das Stück erzählt die absurde Fabel vom dummen Herrn Demos und seinen Sklaven: Unzufrieden über den wachsenden Einfluss eines Mitsklaven, der sich mit Liebedienerei und Drohungen zum Herrn über seinen Gebieter aufzuschwingen versucht (und für den Demagogen Kleon steht), kommen zwei altgediente Sklaven auf die Idee, ihrem Herrn den Ankauf eines Blutwursthändlers anzudienen, der den großen Demagogen als größter Demagoge aller Zeiten ausstechen soll. Die Botschaft scheint klar: Der Demos ist lachhaft, die Demagogen zum Fürchten – und die Ritter haben stets die Lacher auf ihrer Seite. Und doch sind die Ritter nicht einfach nur das Manifest eines unversöhnlichen Gegners der Volksherrschaft. Sie lassen sich auch als Aufzeichnung von Erschütterungen lesen, denen Demokratien unter bestimmten Umständen ausgesetzt sind. Einer dieser Umstände ist der Peleponnesische Krieg: Ein Gutteil von Aristophanes‘ antidemokratischem Affekt erklärt sich aus seiner Abneigung gegen die Kriegstreiberei der Demagogen und die erschreckenden Zustimmungsraten des Demos.
Andere Umstände werden deutlich, wenn man Aristophanes‘ Komödie in der Übersetzung von Christoph Martin Wieland liest, der das Stück unverkennbar vor dem Hintergrund der Französischen Revolution übersetzt hat. Besonders beklemmend liest sich dann die chiliastische Groteske, mit der die Ritter scheinbar versöhnlich enden: Wenn der siegreiche Wursthändler schließlich einen junggekochten Demos präsentiert, den er aus dem verhackstückten alten zubereitet hat, dann schlägt – die Guillotine vor Augen – die Hoffnung auf die Wiederauferstehung der Demokratie umstandslos in Schrecken angesichts der blutigen Wehen um, die ihrer (Wieder-)Geburt vorausgehen. Trotz der forcierten Identifikation von Antike und Aufklärung lassen Wielands Ritter übrigens nie vergessen, dass sie als Übersetzung eine Gleichsetzung praktizieren. Das lässt hoffen, dass die Gewalt der Demokratie nicht unter allen Umständen vorausliegen muss. Es warnt aber auch davor, Demokratien unter allen Umständen übertragen zu wollen – sei es mit dem Sendungsbewusstsein eines Bush oder dem eines Obama.
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| Jens Friebe Hammer Auf verlorenem Posten: Im Baumarkt mit Slavoj Žižek
| Anja Höfer Nicht echt Talk to end all talk: Christoph Schlingensiefs Die Piloten
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