





polar #7: Ohne Orte
EDITORIAL
KURS
KAMPF
KONVENT
SCHÖNHEITEN
Arnd Pollmann Tyrannei der Schönheit Demokratie als Beauty-Farm: Tocqueville, Vian und die ästhetische Chirurgie
| Oliver Kohns Rot/Weiß Nachbarschaft, Rassismus, Völkermord: John Hustons The Unforgiven
| Johannes Kambylis Das Steppenschwein Anarchische Kapriolen: Die Kronenklauer von F. K. Waechter und Bernd Eilert
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Susann Neuenfeldt/Simon StrickDie ewige StadtAuf Bruch: Brecht/Müller in der JVA Tegel | In der JVA Tegel wütet der Kalte Krieg. Die Bühne besteht aus zwei Blöcken, im Osten der bewegliche Kriegskörper Hannibal, im Westen die ewige Stadt Rom. Auch die Zuschauerreihen sind in Blöcke arrangiert, der eine zeigt nach Norden, der andere nach Süden. Diese sind vom panoptischen Gefängnisblock umgeben, der in Block A, B, C, D unterteilt ist – die Zellenblöcke der Insassen. Anstelle des panoptischen Wachturms scheint die Abendsonne aus dem Westen in die Kriegsarena.
Hannibal steht vor der Stadt Rom. Er hat sie sturmreif geschossen, belagert, ausgehungert, den Handel zum Erliegen gebracht. Aber rein? Die ewige Stadt einnehmen? Wo sollte der Entwurzelte, die herumstreifende Kriegsmaschine, der migrantische Feldherr denn ankommen? Dem Existenzialismus von Hannibal hält Rom dekadenten Humor entgegen, die halbherzige Lust am Untergang. Die Senatoren – abgetakelt und altersschwach – begegnen Hannibal mit den Verführungskünsten westlicher Technokratien. Sie glauben, den kalten Krieger mit Beschlüssen und Verabschiedungen in die Knie zu zwingen. Doch die demokratische Diva steht vor einem Feind, in dem eine andere Uhr tickt; ein Nomade, der keine Stadt, keine Heimat nirgends mehr zu verteidigen hat.
Das Gefängnis bildet nomadische Subjekte aus, setzt sie im Nirgendwo fest. Vielfach handelt es sich bei den Schauspielern um migrantische, verloren gegangene Biographien. Der exakt choreographierte, vielstimmige Chor marschiert an diesem Abend auf der Grenze zwischen Festsitzen (Rom) und Bewegen, aber nicht Ankommen (Hannibal), zwischen demokratischer Ausweglosigkeit und ortlosem Migrantentum. Die Schauspieler in der JVA Tegel setzen den in einer ostdeutschen Thea¬tertradition stehenden Textapparat Brecht/Müller in Bewegung, unterspülen ihn mit ihren Akzenten, und werfen eine Frage auf: Welche Biographielinien durchziehen zwanzig Jahre nach Ende des Kalten Krieges das Mauertier Berlin? Nach dem Schauspielergespräch am Ende der Inszenierung weisen uns die Gefängniswärter bestimmt aber freundlich nach draußen. Der Ausflug in die JVA erinnert an ehemalige Zonen in der heutigen BRD, wo Bewegung ohne Ankunft und Ankommen ohne Bewegung erlernt worden sind.
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| Christoph Raiser Wie dem auch sei Zeit für eine Neuauflage: Das Europäische Parlament
| Julia Roth Fragiler Sieg Abortion Democracy von Sarah Diehl
| Martin Roussel Eine gute Idee »Democracy don’t rule the world«: Dylans 83er-Album Infidels
| Daniel Ulbrich Blutwurst Herr Demos und seine Sklaven: Aristophanes’ Die Ritter
| Jens Friebe Hammer Auf verlorenem Posten: Im Baumarkt mit Slavoj Žižek
| Anja Höfer Nicht echt Talk to end all talk: Christoph Schlingensiefs Die Piloten
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