Irgendwo muss sie sich ja versteckt haben. Aber ausgerechnet in dem Black Metal-Gekloppe der Satanistenkombo Cradle of Filth? In den Splatter-Filmen des italienischen Filmemachers Lucio Fulci? In den deutschen GGG-Pornoproduktionen, in denen eine Frau die Körpersäfte von 30 Männern schluckt? All das, schreibt der schwerverliebte David in Dietmar Daths Briefroman Die salzweißen Augen, sind nur kulturelle Nischen, in die die Aufklärung abgetaucht ist, seitdem sich ihre Vernunft in der Welt nicht mehr realisieren kann. Am Beispiel seines Lieblingsbuchs American Psycho beweist er der angebeteten Sonja, dass hinter seinen nerdigen Hobbies mehr steckt als Triebbefriedigung. Die Liberalen, stichelt er, erkennen in Norman Bates nur eine Karikatur des neoliberalen Egomanen. Warum aber die exzessiven Folter- und Vergewaltigungsszenen, in denen Bates sein Opfer mit Tränengas bearbeitet, sie in den Mund fickt - immer wieder? Wozu dieser Überschuss an Gewalt, dieser ekelerregende Exzess?
Weil erst dieser Exzess eine »drastische« Erfahrung ermögliche: »Drastik als Mimesis an fordernde, anstrengende Erlebnisse sagt zum erfundenen Ereignis: Verweile doch, du bist so eklig respektive geil.« Drastikmomente seien Momente erhöhter Datendichte, wie »das auf dem Eis rutschende Auto, Dein ganzes Leben in einem Atemzug, das gestreckte Hupgeräusch des Lasters«. Und um die herzustellen, helfe kein blind wütendes »Es«, sondern nur: Arbeit, jene »Zeige-, Rede- und Beobachtungsformen, die erst mit dem Aufstieg des Bürgertums und der Ideenwelt der Aufklärung geschichtsmächtig wurden«, schreibt David. Und verteidigt nebenher die universelle Vernunft einer marxistischen Fortschrittsgeschichte gegen alle historischen Katastrophen und postmodernen Theorieerscheinungen. Vielleicht ist das schönste an diesem Büchlein, dass sich dieser religiöse Fortschrittsfetisch im letzten Brief selbst ein Stück weit enttarnt, als sich David seines ebenso abstrakten und blinden Liebeswahns bewusst wird. Die Liebe ist eben auch nur eine Spielart der Drastik, die gesellschaftlich nicht verwirklichten Fortschritt kompensieren muss.
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