Etwas auf drastische Weise zu zeigen bedeutet nicht nur, den Finger in die Wunde zu legen, sondern sie erst so richtig aufzureißen. So in etwa könnte man den Versuch umschreiben, mit überdeutlichen, extrem schmerzvollen, auf- und erregenden Darstellungen Kritik an der Wirklichkeit zu üben. Was aber ist genau das Verhältnis von Drastik und Kritik - und muss das wirklich so weh tun?
Als drastisch gilt, was besonders deutlich und besonders wirksam gezeigt, gesagt oder gemacht wird. Drastische Darstellungen zeigen mehr und auf besonders eindringliche Weise etwas, das man nicht unbedingt so sehen will; drastische Maßnahmen sind solche, die sich anbieten, aber die sich bisher angeblich nie jemand zugetraut hätte. Eine Darstellung oder Handlung als drastisch zu bezeichnen, bezieht sich also einerseits auf etwas Reales oder Wirkliches - der Drastiker lügt nicht und spielt auch nichts vor - und andererseits auf eine Haltung und eine Dringlichkeit - der Drastikerin ist ihr Gegenstand nicht gleichgültig, sie glaubt ihm vielmehr genau diese Form der Darstellung oder des Handelns zu schulden.
Dennoch schwingt in der Zuschreibung, etwas sei, wirke oder scheine drastisch, ein Zweifel und eine Distanzierung mit, als ob diese Wirklichkeit nicht ganz so eindeutig und diese Dringlichkeit nicht ganz so verbürgt sei, wie die drastisch Zeigenden und Handelnden vorgeben oder selbst zu glauben scheinen. Die Drastik steht generell im Verdacht der Übertreibung (oder des Übermaßes in den Darstellungsmitteln) und der Frivolität (oder des Missbrauchs von eigentlich ernsten Dingen), sie verstößt gegen übliche Standards der Angemessenheit des Zeigens und Handelns, und es ist kein Wunder, dass sie ihren Ort oft in eher dubiosen und nur halblegitimen Sphären der kulturellen Produktion hat und dort gefeiert wird (etwa im Horror- und Splatterfilm, im Comic, in der Pornographie, in der Populärphotographie, in der Performance-Kunst, im Reality TV, im Schundroman).
Es bleibt etwas Zweifelhaftes an der kulturellen Praxis, etwas zu zeigen oder auszusprechen, was nicht nur deutlich, sondern überdeutlich, unerträglich deutlich sein soll, vielleicht sogar mehr als deutlich ist: wie Körper zerstört und manipuliert werden können, wie das Überschreiten von Schamgrenzen aussieht, was Lust macht und was weh tut. Die ernsteren Sphären der Kultur und des öffentlichen Lebens bedroht Drastik nicht durch Unernst, nicht durch zu wenig, sondern durch zu viel an Ernst, durch Überernst, und diese Bedrohung bringt die üblichen Maßstäbe, wie etwas zu zeigen oder wie zu handeln ist, durcheinander. Drastisch werden bedeutet, gewisse Grenzen und Beschränkungen gerade nicht zu respektieren, sondern aufzuheben. [...]
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