Wie von Haiti erzählen? Wo beginnen, wenn doch jeder so viele Bilder gespeichert hat, aus den ersten Tagen des Erdbebens, wo sich doch so viele Erzählungen und Geschichten über Tod und Verwüstung auf Haiti eingeprägt haben? Wie gegen die Gewöhnung ansprechen, die sich wie Lava ausbreitet, mit langsamer Massigkeit, die alles schluckt und die jede Neugierde und Anteilnahme zu verhärten droht? Wie verhindern, dass Haiti nur wie irgendein Ort der Welt klingt, an dem getrauert und gelitten wird?
Wie kann ich von Haiti erzählen, dem einzigartigen, erschütternden Haiti, das schlimmer war als alles, was ich mir vorher ausgemalt hatte? Wie kann ich erklären, dass Haiti nicht Haiti ist, dass es anders ist, dass all die Bilder, all die Texte, die auch ich vorher gesehen und gelesen hatte, nicht ausreichen, wie kann ich erklären, dass Haiti überrascht und verwirrt, dass nichts bekannt ist in so einer Gegend und dass jede Beschreibung aus dem Wendekreis des Elends immer unvollständig bleibt, dass es sich immer ungenügend anfühlt, wie diese Bettdecke aus der Kindheit, die ein wenig zu kurz war, und sosehr man auch daran rupfte und zog, sie deckte nie alles ab und es blieb zu kalt.
Wie diese Decke erscheinen mir meine eigenen Versuche, die Welt aus Haiti zu beschreiben. Manchmal versuche ich es. Manchmal frage ich Freunde, ob sie etwas hören wollen von Haiti. Dieses Sprechen ist wie der Probelauf zum Schreiben. Als ob ich einmal testen müsste, wie eine richtige Erzählung aus Landschaften der Gewalt und der Trauer aussehen müsste, damit sie nachvollziehbar ist.
Manchmal frage ich meine Freunde, ob ich ihnen etwas schreiben darf. Manchmal frage ich das schon auf der Reise selbst. Ob ich schon mal berichten darf von dem, was ich erlebe. Manchmal reagieren meine Freunde gar nicht. Manchmal sagen sie: Ja, gern.
Und dann erzähle ich, und schon im Sprechen oder Schreiben merke ich, wie die Decke meiner Erzählung zu kurz ist, wie ich mich frage, wie viel Zeit sie wohl haben, wie lange ich sie wohl belasten darf mit dieser Uferlosigkeit des Schreckens auf Haiti, frage mich, wo ich eigentlich beginnen soll, ihren Wirklichkeitsbegriff zu öffnen für eine Welt, in der nicht nur an einer Stelle etwas aus den Fugen geraten ist, eine Welt, die nicht nur an einer Stelle beschädigt ist, sondern die scheinbar nie in den Fugen war. [...]
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