Unsere westliche Populärkultur wird häufig als bunt, oberflächlich, sinnlich, unterhaltend, in Teilen kitschig, und nicht selten in Kategorien des Camp beschrieben. Es gibt jedoch noch eine andere, extremere Seite der kulturindustriellen Medaille, die man mit Fug und Recht als drastisch bezeichnen kann.
Als Dietmar Dath vor einigen Jahren Die salzweißen Augen. Vierzehn Briefe über Drastik und Deutlichkeit auf den Buchmarkt brachte, ging es nur zum Teil um die Geschichte eines jungen Mannes, der seiner ehemals angehimmelten und nie erreichten Schulkameradin in 14 Briefen seine Liebe gesteht. Aus einer anderen, theoretischen Perspektive ist dieser Text der essayistische Versuch einer Aktualisierung eines Begriffes, der in der deutschen kunsttheoretischen Debatte zwar seit über zweihundert Jahren existiert, aber, wie seine Abwesenheit in den ausschlaggebenden Fachlexika zeigt, es bisher nie in die erste Reihe ästhetischer Kategorien geschafft hat, und dies, so eine Botschaft des Textes, eigentlich zu unrecht: Es hegt um den Begriff der Drastik.
Mit ›Drastik‹ ist bei Daths Briefeschreiber dabei gleich mehrerlei gemeint: Sie steht einmal für den besonders »feuchten und verdreckten Winkel« der Kulturindustrie, der auf eine scheinbar paradoxe Weise an- und abstoßend zugleich ist. Mit anderen Worten ist Drastik hier zunächst der Versuch einer begrifflichen Umschreibung eines Feldes der kulturellen Produktion, das massenwirksam und unpopulär ist und somit als unpopuläre Populärkultur bezeichnet werden könnte. In diesem Kontext gelten dem Erzähler Daths etwa Werke aus dem Thrash-, Death- und Black Metal, Splatterfilme á la Lucio Fulcis The Beyond (1981), literarische sowie filmische Pornografie oder so umstrittene Romane wie Bret Easton Ellis' American Psycho (1991) als signifikante Beispiele kulturindustrieller Drastik. Diese von Dath anzitierten Produkte »reiner« Drastik weisen bei genauer Beobachtung eine Struktur auf, welche die anti-idealistischen Impulse der Pop-Ästhetik (wie Sinnlichkeit, Hedonismus und Materialismus) sowohl motivisch als auch formal ins Extreme führt und die sich somit selbst noch einmal wesentlich von der Mainstream-Populärkultur unterscheiden. So ist Drastik hier inhaltlich unauflöslich mit den expliziten Darstellungen von Gewalt, Tod und Sexualität verbunden und bewegt sich damit grundsätzlich in einem ästhetisch-moralischen Problembereich. [...]
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