Liebe Leserin, Lieber Leser, Fortschritt war einst das Zauberwort der Linken, um der Hoffnung und der Zuversicht auf ein besseres Morgen Ausdruck zu geben. Mit der Aufklärung verband sich auch der Glaube an kulturellen und moralischen Fortschritt. Mit dem technologischen und ökonomischen Fortschritt verband sich die Hoffnung auf einen entsprechenden sozialen Fortschritt. Und selbst die Weiterentwicklung der Demokratie war Gegenstand der Fortschrittsidee.
Heute scheint der Optimismus von Fortschritt passé. Wenn es schon kein Zurück in eine goldene Vergangenheit gibt, dann soll doch wenigstens alles so bleiben wie es ist. In den meisten Feuilletons regiert der Kulturpessimismus. Die Welt: zu laut, zu bunt, zu schnell. Applaus der Intellektuellen ist sicher.
Aber die Kraft zu notwendigen Veränderungen gerade im sozialen und ökologischen Bereich kann unsere Gesellschaft nur aufbringen, wenn wir den Fortschrittsgedanken wieder entdecken und neu formulieren. Jede Gesellschaft braucht Aussicht auf eine Veränderung zum Besseren, braucht Ziele und Visionen.
Grundlage einer politischen Idee des Fortschreitens kann dabei kein naiver Fortschrittsglaube sein, sondern nur eine intensive kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff des Fortschritts (Lukes, S. 7), der Utopie (Interview Abensour, S. 14) und der Idee menschlicher Entwicklung insgesamt (McCarthy, S. 36).
Wissenschaft und Technik huldigten schon immer auf fast kultische Weise dem Gedanken des Fortschritts. Technische Utopien liefern aber nicht nur Material für Science Fiction (Fuhse, S. 107), sondern ermöglichen neue Infrastrukturen, aber auch neue Wagnisse (Schütze, S. 99 und Harms, S. 103). Technik ändert unsere sozialen Strukturen (Jahnke/Voss-Dahm, S. 79). iPod und Facebook prägen das tägliche Zusammenleben. Der digitale Fortschritt knüpft neue soziale Netze (Interview Lovink, S. 86). Aus dem Technik-Kult erwachsen neue Kulturtechniken (Ruhl, S. 45).
Die greifbarste Beziehung der Kunst zu Fortschritt bietet wohl die Architektur (Makropoulus, S. 113; Interview Brandlhuber/Keré, S. 118). Die Kunst spiegelt nicht nur die Entwicklung einer Gesellschaft (Friedl, S. 4ff.), sondern verschreibt sich selbst einer kritischen Fortsetzung der Fortschrittsidee der Moderne (Rebentisch, S. 145)
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Für die Redaktion
Peter Siller, Bertram Keller