Die 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts sind seit geraumer Zeit wieder »in«. Farben, Formen und Muster der Aufbruchs-Jahrzehnte bestimmen das Bild der Alltagskultur. Ob Kleidung oder Porzellan, Schmuck oder Lederwaren, selbst Buchdeckel und Möbelstücke wollen das verwegene Lebensgefühl massenkulturell zurückbringen. Junge Frauen und Männer ohne jeden Hang zur Revolte tragen Che-Guevara-T-Shirts und wünschen sich Staatsexamens-Prüfungen über die Rote Armee Fraktion, die gar nicht klammheimlich mit heroischem Glanz versehen wird. Mit dreidimensionalen Bilderfluten wie James Camerons Avatar trägt die Kulturindustrie zur Wiederbelebung von Motiven demokratischer Selbstbestimmung und unzerstörter Natur bei. Knallbunte Blumen, sinistre HeldInnen und die Wälder Pandoras durchziehen die Warenwelt.
Dass diese ikonographischen Wiederaufnahmen mitten in eine monströse Krise fallen, überrascht nicht. Kommodifizierung und Kulturindustrialisierung herrschaftlich verweigerter Bedürfnisse und gewaltsam umgelenkter Sehnsüchte bilden den Kern des Programms, das seinen Triumph uns allen ins Herz brennen will, wie es die Dialektik der Aufklärung sehr dramatisch formuliert. Konformismus, Versagung, Verkümmerung, Masochismus, Monotonie, Fadheit, Verdinglichung und Amusement sind die Stichworte, die die betrügerische Vorgehensweise charakterisieren. Der kulturindustrielle Betrieb verspricht Brot, speist aber mit den Steinen der Stereotypie ab, so Horkheimer und Adorno. Bis heute können sie erklären, was mit Gefühl und Verstand von Frauen und Männern geschieht, die sich das ganz Andere erhoffen und stattdessen eine verstümmelnde Allmacht ins Herz gebrannt erhalten.
Dies alles wäre kaum der Rede wert, wäre die ikonographische Wiederbelebung der Revoltejahre nicht in aufschlussreicher Weise thematisch hoch selektiv. Die (re)animierten HeldInnen sind männlich, die grellfarbenen Blumen aus Plastik und die Wald-Welten werden von edlen Wilden des 18. Jahrhunderts bewohnt. Längst nicht alle kommodifizierbaren Motive der bewegten Jahre werden heute verkauft; es fehlen vor allem die Kritik und Erneuerung der Geschlechterverhält- nisse und die damit verbundenen Vorstellungen einer grundlegenden gesell162 polar 9 Barba ra Holla nd-Cunz schaftlichen Transformation. Der herrschaftlichen Banalisierung von Revolution und Ökologie steht geschlechterpolitisch beredtes Schweigen gegenüber.
Während Che Guevara offensichtlich erfrischend wirkt und durch das Öko-Angebot von Aldi ergänzt werden kann, wirken Frauenbewegung und Geschlechterpolitik restlos überholt und ein wenig peinlich. Themen und Personen scheinen erledigt zu sein … alle Forderungen erfüllt oder doch kurz vor der Einlösung, alte Texte nicht lesenswerte Klassiker, sondern unverdaulicher Ramsch. Frauenbewegte Accessoires der Siebziger werden in der Retro-Mode nicht hergestellt; mit einem Che-Guevara-T-Shirt ist man gut angezogen, mit einer lila Latzhose würde frau bestenfalls antiquiert wirken. Im Unterschied zu den massenindustriellen Versatzstücken der Studenten- und Ökologiebewegung scheinen feministische Versatzstücke nicht einmal kommodifizierbar zu sein. Gewagte Vermutung: Vielleicht liegt es daran, dass feministische Themen, Ziele, Ideale und Utopien aus den 1970er Jahren von ihrer Realisierung so endlos weit entfernt sind, dass sie noch nicht einmal – patriarchal-kulturindustriell überarbeitet – ins Herz gebrannt werden dürfen. Könnte die Gefahr der Evozierung echter Sehnsüchte und Hoffnungen viel zu groß sein? Die Schärfe sexistischer Abwehrreflexe gegen die Fakten fortbestehender struktureller und direkter Gewalt weist darauf hin, dass die Kulturindustrialisierung feministischer Utopien riskant ist, weil sie dem Wünschen zu nahe stehen.
Gegen die Entwöhnung vom Zukunftsdenken Feministische Utopien der 1970er Jahre malen das Gegenteil heutiger Realitäten aus: Sie skizzieren radikaldemokratische Entscheidungsorgane in Basis- oder Rätedemokratien, Partizipation und Diskurs mindestens in der Kommune, die Aufhebung geschlechtshierarchischer Arbeitsteilung sowie jener zwischen intellektueller und handwerklicher Arbeit, soziale Bindungs- und Verantwortungsformen jenseits der Kleinfamilie, phantastische Bildungsinstitutionen, eine ressourcenschonende nachhaltige Subsistenzwirtschaft, die schöne und dauerhafte Gegenstände und Technologien hervorbringt, die Entfaltung individueller Bedürfnisse und Kompetenzen jenseits geschlechtsspezifischer Zuschreibungen, individuelle Freiheitschancen, ausbalanciert zwischen Selbstbestimmung und Gemeinwohlpflichten.
Dass all dies klischeehaft klingen mag, hat nichts mit der Antiquiertheit der utopischen Motive, sondern mit einer vollkommenen Entwöhnung von umfassendem Zukunftsdenken zu tun. Selbst die Parole »Eine andere Welt ist möglich« wird heute von SpezialistInnen formuliert, die sich mit der Regulierung globaler Finanzmärkte befassen. Aufgegriffen wird der Ruf, wenn überhaupt, von ExpertInnen des Gender Mainstreaming, ExpertInnen für nachhaltiges Management von Stoff- und Energieströmen, klimapolitisch informierten VerhandlerInnen, SpezialistInnen für Regionalvermarktung, Initiativen für neue städtische Wohnformen, aber eher selten von Bildungs- und FamilienpolitikerInnen und nur vereinzelt von GewerkschafterInnen oder Mitgliedern der Grünen Partei. Die professionelle Verwaltung der Zukunft in unzähligen ExpertInnendiskursen lässt einen umfassenden Blick auf die Veränderung »der Welt« als naiv erscheinen, falls er überhaupt gedacht werden kann. Feministische TheoretikerInnen und SchriftstellerInnen haben diese Wende mit vollzogen. Arbeiten zu Zukunftsvorstellungen entstammen heute sorgfältiger Prognose oder sind düstere dystopische Romane wie die jüngsten von Margaret Atwood. Wenn Zukunft thematisiert wird, dann mit gebotenem analytischen Ernst und einer Skepsis, die wissenschaftliche Seriosität signalisiert. Für weit ausholende Zukunftsbilder ist die Kulturindustrie zuständig, deren Auftrag die Verhinderung einer »anderen Welt« ist.
Die Zukunftsphantasie hat sich seit den 1970er Jahren von umfassenden Denkfiguren verabschiedet, ferne Visionen gesellschaftlicher Transformation sind dem Verdikt der Unseriosität verfallen. Nach 1989 wurde das utopische Denken gar für tot erklärt; das Ende der Geschichte verband sich mit dem Verbot des Utopischen als systematisch totalitär. Die Entwöhnung von umfassendem Zukunftsdenken liegt also nicht nur in Spezialisierung und Professionalisierung gesellschaftskritischer Einsprüche begründet, sondern auch in einer generellen Desavouierung der politischen Utopie als naiv und banal, totalitär und repressiv.
Doch wie so oft in Utopias Ideengeschichte hat die schlechte Gegenwart dazu beigetragen, dass die anti-utopische Stimmung nicht lange anhielt. Mit den herrschaftlichen Realitäten der Globalisierung, den beängstigenden Hochrechnungen zum so genannten Klimawandel, den skandalösen Erkenntnissen aus der Weltwirtschaftskrise hat sich die utopische Sehnsucht zurück gemeldet und muss nun in massenkulturindustriellen Versatzstücken angeboten werden. Doch die Verbote waren nicht wirkungslos: Die Themen gesellschaftsverändernden utopischen Denkens müssen, jenseits ihrer kommodifizierten Form, erst wieder angeeignet werden. Sie sollten, im doppelten Wortsinne, neu gelesen werden.
Selbstreflexiv statt repressiv Vergegenwärtigt man/frau sich einzelne Szenen der feministisch-utopischen Literatur, wirken diese alten, vermeintlich überholten Texte gar nicht mehr klischeehaft, sondern in vieler Hinsicht noch heute literarisch bewegend. Viel Sorgfalt verwenden UtopistInnen wie Marge Piercy etwa auf die Beschreibung der ersten Begegnung mit Utopias neuen Städten und Gemeinden und die Irritationserfahrung ihrer nicht-utopie-gewohnten BesucherInnen. Das klassische Motiv, der fiktionale Besuch aus der schlechten Gegenwart der AutorInnen und LeserInnen, wird gleichsam umgedreht: Nicht die Größe, der Reichtum, die Ausschmückung, die Unbezwingbarkeit der utopischen Ansiedlungen wird bestaunt und mit Bestürzung erlebt, sondern im Gegenteil die Kleinheit, Kargheit, Schlichtheit, Verwundbarkeit Utopias fällt jenen ins Auge, die nur die Logik instrumenteller Vernunft kennen. Wo Thomas Morus’ Utopia sich selbstgewiss, großartig seinen Nachbarn und der Welt als überlegen präsentiert, skizzieren feministische UtopistInnen eine Gesellschaft, die sich nach innen und außen selbstreflexiv, diskursiv, in einem permanenten Prozess kritischer Revision ihrer Ideale befindet. Feministische Utopien sind, ideengeschichtlich untypisch, weder auftrumpfend nach außen noch repressiv nach innen, es sind demokratische Gesellschaften in einem permanenten Demokratisierungsprozess. Ihre BewohnerInnen werden als offene, neugierige, lebenslustige, verantwortungsbewusste, lernbegierige, Natur-emphatische, keineswegs perfekte Persönlichkeiten mit Interessen und Begabungen jenseits aller geschlechtsspezifischen Zuschreibungen imaginiert, nicht als die ständig monoton belehrenden, fehlerlosen männlichen Standardexemplare, die fast alle klassischen Utopien bevölkern.
Das noch vollkommen Unerledigte an diesen alten feministischen Texten spiegelt sich in der Kunstfertigkeit, mit der die Abschaffung der Geschlechterhierarchien in einen Gesellschaftsentwurf eingebettet wird, der sich zu allen relevanten Fragen gesellschaftlichen Umbruchs äußert. Das ganz andere Geschlechterverhältnis wird mit dem Umsturz des Politischen, Sozialen, Ökonomischen, Ökologischen und Kulturellen systemisch verbunden, wie dies für alle ideengeschichtlich relevanten, klassischen Utopien charakteristisch ist. Wer diese Texte heute liest, trifft keineswegs nur auf starke Frauenfiguren, sondern wird sowohl für demokratietheoretisches als auch naturpolitisches Zukunftsdenken intellektuell inspiriert.
Rezeptionssperre als Symptom Es existieren jedoch auch einige Motive, die heute als hoch problematisch empfunden werden. Interessanterweise beziehen sie sich vor allem auf geschlechterpolitische Fragen, so etwa Marge Piercys zustimmender Umgang mit technologischer Reproduktion oder Sally Gearharts radikale Männerfeindlichkeit. Wohlwollend gedeutet könnte das bedeuten, dass die geschlechterpolitischen und -theoretischen Fortschritte seit Mitte der 70er Jahre größer sind als die demokratie- und ökologiepolitischen und die Texte deshalb – geschlechterpolitisch – nicht mehr die Sprache heutiger LeserInnen sprechen. Tatsächlich könnte die befremdende Diskrepanz zwischen den alten radikalfeministischen Bildern und heutiger frauenpolitischer Sanftmut aber auch das Gegenteil signalisieren: Die radikalen Bilder stoßen auf Rezeptionssperren, weil sie noch längst nicht erledigt sind. So riskant die Kulturindustrialisierung, so befremdlich die Radikalität.
Feministische Utopien könnten als Maßstab fungieren, welche Wünsche der Revolte- Jahre bis heute offen geblieben sind. James Camerons Film Avatar ist bis ins Detail hinein eine perfekte, verdinglichte, stereotype Kopie utopischer Visionen. An Stelle von Camerons Pandora braucht es Piercys Mattapoisett – jenes utopische Dorf aus Frau am Abgrund der Zeit (1976), das eine komplexe Transformationsphantasie über Geschlechtergerechtigkeit, Radikaldemokratie und ökologische Bescheidenheit ist. |