Die jahrhundertlange Arbeit am Fortschritt wird dargestellt als gigantische Dummheit, der heute schleunigst Einhalt zu gebieten sei. Hier muss Einspruch erhoben werden! Wir haben die Erde nicht vergiftet, wir haben sie humanisiert. Und unser »Fußabdruck« ist ein fünftausendjähriges Projekt zur Beherrschung der Naturgewalten und Gestaltung unserer Umwelt, das weiter voranschreiten muss. Die Forderung, sich immer und überall dem Diktat der Nachhaltigkeit zu unterwerfen, verhindert das Überdenken des Hergebrachten, unterbindet Kreativität und Fantasie und richtet sich gegen das Entwerfen und Erschaffen einer neuen Welt. Der Nachhaltigkeitsgedanke wirkt wie eine mentale Zwangsjacke. Von dieser sollten wir uns besser heute als morgen befreien.
Die eigentlich recht abstrakte Idee, die Natur sei eine Art Warenlager, das irgendwann leer geräumt sein werde, ist im Denken der westlichen Mittelschicht zu Beginn des 21. Jahrhunderts offenbar dennoch fest verankert. Wenn der Zeitpunkt gekommen sei, stünden unsere Enkelkinder dumm da. Dem ist nicht so. Wenn wir sie nur dazu ermutigen, sich das menschliche Wissen und Können anzueignen und es ad infinitum zu mehren, werden unsere Nachkommen keineswegs dumm, sondern wissender sein als wir.
Die nächste Stufe des Heraustretens aus der Natur erreichten wir mit der industriellen Revolution. Diese war nicht der Anfang der Ausbeutung der Natur, sondern der Anfang vom Ende der Ausbeutung. Sie markiert den Übergang von einer Menschheit, die noch recht weitgehend von dem lebte, was sie der Natur unmittelbar abgewinnen konnte, zu einer Menschheit, die ihren Wohlstand im Wesentlichen selbst schafft und damit nicht mehr wie das Tierreich in direkter Weise von der Umwelt abhängig ist. Natürliche Grenzen sind im 21. Jahrhundert keine Entschuldigung mehr für Armut. Wohlstand ist in globalem Maßstab machbar.
Die Idee, die Menschheit könne sich an die zurzeit diskutierten Veränderungen nicht anpassen – insbesondere durch technische Innovation –, ist eine Beleidigung für die Menschheit. Die Leute, die archaische Lösungen wie Windmühlen propagieren, sind die gleichen pessimistischen Misanthropen, die auch meinen, Thomas Malthus sei ein großer Prophet gewesen. Sie glauben wirklich, die Menschheit sei eine Pest auf der Erde. Dabei sind wir ihre Krönung.
Im 19. und im 20. Jahrhundert hat sich die Energiegewinnung jeweils versechzehnfacht. Seit 200 Jahren haben wir also eine Verdopplung alle 25 Jahre. Dieses Tempo beizubehalten darf heute wohl als mutige Forderung gelten.
Aufgrund der verbreiteten Wachstumsskepsis werden sich für ambitionierte und teure Konzepte, die Wirtschaftswachstum klar ins Zentrum rücken, auf absehbare Zeit schwerlich Wortführer oder politische Mehrheiten finden lassen. Nichtsdestotrotz ist es dringend notwendig, den gegenwärtigen Konsens zu brechen. Ansonsten werden wir uns damit abfinden müssen, dass wir – um nochmals mit den Worten des Bundespräsidenten zu sprechen – lernen werden, »mit weniger Verbrauch glücklich und zufrieden zu sein«.
(Aus verschiedenen Internet-Beiträgen in Novo Argumente, Die Achse des Guten und Weltwoche, die an Fortschritt und Aufklärung appellieren. Gesammelt und dokumentiert von Neue Berliner Sprachkritik.) |