Wir alle nutzen die Errungenschaften moderner Technologie im täglichen Leben. Es muss ja nicht die automatische Bestellung von Lebensmitteln durch den Kühlschrank sein, aber: Geld holen ohne Bankautomat? Artikel schreiben ohne Hintergrundinformationen aus dem Internet? Sich verabreden ohne Mobiltelefon oder Facebook? Für viele fast nicht mehr denkbar.
Moderne Informations- und Kommunikationstechnologie hat unser Leben bereits heute nachhaltig verändert: Das Internet beispielsweise ermöglicht sekundenschnelle Kommunikation über Distanzen und räumliche Grenzen hinweg und schafft Zugang zum Wissen der Welt und neusten Informationen. Aber was fangen wir mit diesem Wissen und den Informationen an? Mit der Informationsüberflutung nehmen auch das Nicht-Wissen und die digitale Demenz zu. Mit jeder Information, die aus dem Netz geholt wird, tauchen neue Fragen auf. Statt sich Dinge zu merken und Alltagswissen zu lernen, wird Wikipedia aufgesucht. Damit gehen schrittweise Fähigkeiten verloren, die früher einmal das Überleben sicherten, wie sich in unbekanntem Gelände ohne digitale Hilfsmittel zu orientieren oder einmal gelerntes Wissen aus dem Gedächtnis abzurufen. Wie können analytische Fähigkeiten heranreifen, wenn Wissen zwar zerstückelt vorhanden, aber nicht systematisch verbunden und verankert ist?
Wenn man eine solche skeptische Haltung einnimmt, gerät leicht aus dem Blick, dass bei Nutzung moderner Kommunikations- und Informationstechnologie auch ein neues Potenzial von Kreativität freigesetzt und für gesellschaftlichen Fortschritt genutzt werden kann. Wie wir an zwei Beispielen aus der Mediendidaktik (Isa Jahnke) und der Arbeitswelt (Dorothea Voss-Dahm) zeigen, geht dies oftmals mit ambivalenten Wirkungen und intergenerativen Kommunikationsproblemen einher, die eine Entfaltung des Kreativitätspotenzials bremsen oder verhindern können.
Digital Users – kreativ und dement?
Das Beispiel von Isa Jahnke zeigt, dass die junge Generation bereits in der Internet- und Netz-Gesellschaft angekommen ist. Kinder und Jugendliche wachsen heute ganz selbstverständlich mit den neuen Web 2.0-Plattformen, Social Software & Co. wie beispielsweise Facebook, YouTube, MySpace, Wikipedia, Blogs und Twitter auf. Sie werden daher auch Digital Natives genannt. Die anderen Personen (insbesondere die heute 35-Jährigen und älteren), die den Umgang mit den neuen Medien erst im Erwachsenenalter oder später lernen mussten, sind die Digital Immigrants. Während die einen die neuen Technologien, ihre Nutzungsmöglichkeiten und Ausdrucksformen quasi als Muttersprache verinnerlichten, bleibt den anderen ein lebenslanger Akzent im Umgang damit, wie eben einem Immigranten in einer fremden, digitalen Welt. Beispiele für solche Akzente von digitalen Immigranten sind: die Email ausdrucken oder die Sekretärin bitten, sie auszudrucken, um es zu lesen und Kommentare hinzuzufügen anstatt es direkt am Bildschirm zu verändern; Personen ins Büro einladen, um ihnen eine interessante Webseite zu zeigen anstatt ihnen die URL zu senden; ein Telefonanruf mit der Frage »Ich habe Dir gerade eine Email gesendet. Kannst du mir sie schnell beantworten? « Dagegen sind Digital Natives in anderer Form aktiv. Auf Kongressen twittern und bloggen sie und hören der Präsentation zu. Sie tun dies mehr oder weniger gleichzeitig.
Den einschlägigen Studien zufolge ist ein Merkmal dieser neuen Netz-Generation, dass die heute Jugendlichen (insbesondere 13–19 Jährige im deutschsprachigen Raum) überdurchschnittlich viel im Internet surfen und mehr chatten als die übrigen Altersgruppen. Die Studien zeigen jedoch auch, dass das Nutzungsverhalten der Jugendlichen unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Demnach gibt es die homogene Netz-Generation an sich nicht. Es ist also besser von Digital Users zu sprechen, die in verschiedenen Altersgruppen zu finden sind. Dennoch gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen den Generationen: Die heutigen Jugendlichen nutzen das Internet anders als die Digital Immigrants. Nur 2,7 Prozent der 13 bis 19 Jährigen sind Offliner laut einer Studie von Gerhards und Mende 2006. Sie haben neue Formen des Wissenserwerbs, neue Formen der Kommunikation und des Social Networking entwickelt. Die Autoren prognostizieren, dass die Internet-Generation eine neue »Sprache«, neue Formen von Sozialität sowie neue Lernformen entwickelt hat bzw. sich im Prozess befindet, neue Kommunikationsformen zu entwickeln. Ein Beispiel sind die Abkürzungen beim Chatten und SMS schreiben: THX heißt Thanks, TGIF heißt, Thanks God ist Friday (die Freude auf das Wochenende) um nur einige Beispiele zu nennen. Es geht auch noch kryptischer. Neuere Formen von Wissenserzeugung und technisch-unterstützten Interaktionsformen ist crowdsourcing bei dem nicht-gelöste Aufgaben von Unternehmen an die crowd (Masse der Internetuser) outgesourct werden, um bestmögliche Lösungen zu finden. Neben den Vorteilen der günstigen und schnellen Wissensfindung sind aber auch enorme Nachteile zu verzeichnen, wie die Ausbeutung von Personen, die ihre Ideen und das Copyright für wenig Geld an die Unternehmen verkaufen bzw. Rechte abtreten. Die bisherige, eher zentralisierte, hierarchische Informationsverteilung, die vom Anbieter zum Nutzer verlief, ist im Web 2.0 überholt. Im Internet 2.0-Zeitalter werden die Nutzer selbst zu Produzenten der Inhalte (prosumer, many-to-many communication) und können ihr Wissen relativ leicht zur Verfügung stellen. Die Möglichkeit des Austauschs steht im Vordergrund.
Folgt man den Soziologen Berger und Luckmann werden die Digital Natives – als nachfolgende Generation der Digital Immigrants – die mediatisierte Wirklichkeit als »objektive Faktizität« wahrnehmen, welche ihnen als »äußeres, zwingendes Faktum gegenübersteht«. Der Umgang mit neuen Medien wie Web 2.0 und die damit verbundenen soziotechnischen Handlungen hätten sich als habitualisierte (in Routine übergegangene) Handlungen zu Selbstverständlichkeiten entwickelt oder sind dabei sich zu entwickeln. Die Frage ist, inwiefern das Internet zur objektiven Faktizität für Digital Natives geworden ist, und inwieweit dies den Wissenserwerb und das Lernen verändert.
Marc Prensky zeigt mit seinen Interviews solche ersten Veränderungen von Selbstverständlichkeiten unter anderem in Form von Erwartungsveränderungen. Lehrende (Digital Immigrants) gestalten nach Ansicht Prenskys ihre Lehre nicht so, dass es – vom Standpunkt der Digital Natives (Studierender) – wertvoll ist, ihr genügend Aufmerksamkeit zu schenken: »I went to a highly ranked college where all the professors came from MIT. … But all they did was read from their textbooks. I quit.« Er zeigt in seinen Studien, was Dozenten und Dozentinnen an Universitäten von Digital Natives lernen können und seiner Meinung nach »lernen sollten«, um die Lehre für die neue Generation Studierender angemessen zu gestalten. Dies bedeutet nicht, dass sich Hochschulen und Lehrende an die neue Generation komplett anpassen sollten. Jedoch sollte in der Lehre eine Vielfalt ermöglicht werden, die neben klassischen Vorlesungen auch medienunterstützte Forschungswerkstätten und e-Lerntagebücher in den Lernprozess integriert. Vielfältige Bildungsmaßnahmen ermöglichen vielfältigen Kompetenz- und Wissenserwerb. Prensky betont: »We need to invent Digital Native methodologies for all subjects, at all levels, using our students to guide us«. Aber was sind diese neuen »Digital Natives methodologies«? Derzeit werden die Digital User insbesondere durch vernetzte und weniger systematische Handlungen gekennzeichnet. Dies wird durch zwei Eigenschaften des Web 2.0 gefördert: das leichte Auffinden von Inhalten durch RSS-Feeds sowie das relativ leichte Erzeugen von mash-ups (ugs. Vermanschen). Das Erstellen von mash-ups bedeutet, bestehende Web 2.0 Tools und Inhalte neu zu kombinieren, um neue interaktive Tools und Inhalte zu erzeugen. Ein Beispiel ist die open street map (siehe http://www.openstreetmap. de) die das Konzept der Wikis nutzt, um eine weltweite Straßenkarte zu erzeugen, die GPS-Daten und Fotos und Informationen der Nutzer zur Verfügung stellt. Die freie Wiki-Weltkarte wächst kontinuierlich.
Das Verbinden diverser bestehender Web 2.0 Anwendungen für den Bereich der Bildung wird educational mash-ups genannt. Das Konzept der educational mash-ups beschreibt wie Web Tools und Inhalte gemixt und geeignet kombiniert werden können, um interaktive Werkzeuge und Inhalte für Bildungsinstitutionen zu erzeugen. Aus mediendidaktischer Sicht wird allerdings viel zu häufig die Technik in den Vordergrund gestellt anstatt ein geeignetes soziotechnisches System zu gestalten, im dem die Ermöglichung von Lernprozessen im Vordergrund guter Lehre stehen sollte. Dies ist jedoch nichts Neues und wird von Wissenschaftlerinnen bereits seit Jahren betont. So ist es nicht verwunderlich, wenn die Mehrheit der Digital User zwar über Fähigkeiten verfügt, die neuen Computertechnologien operativ bedienen zu können, jedoch nicht medienkompetent ist, zum Beispiel die Problematiken der personenbezogenen Daten, deren Verarbeitung (wie es in Facebook geschieht) und möglichen Missbrauch nicht kennen oder nicht wahrnehmen. Die Wikipedia-Gläubigkeit und das Vertrauen in den neuen Google-Gott ist erdrückend.
Neue Denkkulturen erforderlich
Digital Natives handeln zwar anders aber nicht per se schlechter. Sie denken vernetzter, das heißt »interdisziplinärer, interaktiver, verspielter, sprunghafter, weniger systematisch, aber dafür vielfach kreativer« schreibt Horvath. Und genau dies birgt wiederum Potenzial für die Entwicklung individueller, kollaborativer Kreativität und Kreativität in Gruppen. Kreativität (Ideengenerierung) ist die Basis für Innovationen (Ideenakzeptanz/-durchsetzung) in unserer Gesellschaft, in Hochschulen und Unternehmen. Aus der Kreativitätsforschung ist bekannt, dass Personen nicht per se kreativ sind, sondern als Digital Natives im Web 2.0 einige Rahmenbedingungen vorfinden, um kreativ zu sein. Dies wird unter anderem an weniger Blockaden und mehr Freiräumen, handeln zu können, deutlich. Neue Denkkulturen sind erforderlich.
Zurzeit gehen die oben skizzierten internettechnischen Neuerungen eher mit gesellschaftlichen Rückschritten einher und die ambivalenten Wirkungen neuer Technologien werden überdeutlich: einerseits haben sie das Potenzial – für Kreativität, Vernetzungen, Kommunikationszugänge, Zugang zu Bildung für alle gleichermaßen – andererseits gehen einige Digital Users nur operativ mit den neuen Technologien um, sie haben jedoch keine Informations- und Medienkompetenz (i-literacy) im weiteren Sinne entwickelt, zum Beispiel übernehmen sie Informationen aus dem Internet ohne sie zu hinterfragen. Digitale Demenz steigt, Bildung verschwindet.
Dequalifizierung vs. Erfahrungswissen
Informations- und Kommunikationstechnologie hat auch die Arbeitswelt grundlegend verändert, wie das Beispiel von Dorothea Voss-Dahm zeigt. In der IT Branche ist besonders deutlich, wie der unterschiedliche Umgang von Jüngeren und Älteren mit moderner Technologie im Arbeitsprozess genutzt wird. In einem global operierenden Unternehmen beispielsweise arbeitet man nicht mehr in festen Teams zusammen, die lokal verankert sind. Vielmehr sollen die vorhandenen Qualifikationen der Mitarbeiter weltweit nutzbar sein, weshalb die Zuweisung von Projekten an Mitarbeiter über das unternehmensinterne Netz geschieht: Alle Mitarbeiter haben ein elektronisches Profil, aus dem ihre Projekterfahrung und das Qualifikationsprofil hervorgeht. Mit diesem Profil bewerben sie sich auf unternehmensintern international ausgeschriebene Projekte und beschaffen sich damit selbst ihre Arbeit. Vor allem gelingt es den Jüngeren, an internationalen Projekten teilzunehmen. Die Digital Natives kommunizieren und bewegen sich selbstverständlich in der virtuellen Welt und erleben die Projektarbeit im internationalen Kontext als Fortsetzung eines bereits praktizierten Kommunikationsmusters. Für die Älteren dagegen wird diese Art zu arbeiten oft als Zumutung empfunden. Zum einen, weil das Muster der sozialen Beziehungen sich komplett von dem bekannten Muster von Face to Face-Kommunikation bis hin zum Betriebsfest unterscheidet. Zum anderen, weil hier das Erfahrungswissen der Älteren überhaupt keine Rolle zu spielen scheint. Seniorität ist in diesen Arbeitszusammenhängen eher ein Hindernis als eine Anerkennungsdimension. Die Älteren sind eben nicht die »Ureinwohner«, sondern »Einwanderer mit Akzent « in einer neuen Welt der Arbeitsorganisation. Die kurze Halbwertszeit des Wissens der Technologie in Verbindung mit einer – zumindest in Teilen der global operierenden IT-Branche – virtuell organisierten Arbeitsorganisation hat damit zu einer Kluft zwischen den Generationen geführt, in der sich die Wertigkeit von Erfahrungswissen grundlegend verändert hat. In der Praxis löst sich dieser Konflikt oft auf, indem sich ältere IT-Spezialisten aus dem internationalen Projektgeschäft verabschieden. Sinnvoll wäre es allerdings, das Erfahrungswissen der Älteren mit der neuen Leichtigkeit der Jüngeren zu verbinden.
Auch im Einzelhandel hat Technologie die Anforderungen in der Arbeit grundlegend verändert – allerdings vollkommen anders als in der IT-Branche: Hier beherrscht Informations- und Kommunikationstechnologie die Organisation der Warenkette von den industriellen Herstellern in die Handelsunternehmen. Die Beschaffung und Verwaltung von 120.000 verschiedenen Artikeln zum Beispiel in einem größeren SB-Warenhaus ist ohne automatisierte Bestell- und Verwaltungssysteme gar nicht vorstellbar. Nur noch Rand- oder Spezialsortimente werden heutzutage schriftlich, per Telefon oder im direkten Kontakt mit Vertretern der entsprechenden Hersteller bestellt. Ansonsten bestimmt lean retailing das Alltagsgeschäft im Einzelhandel, was die schlanke und effiziente Abwicklung der warenbezogenen Prozesse meint. Unter diesen Bedingungen beschränkt sich die Arbeit – das gilt für Jüngere und Ältere gleichermaßen – auf das Einräumen von Regalen oder das Abscannen von Waren an vollautomatischen Kassen. Die Automatisierung der Abläufe durch Nutzung von Technologie geht hier für den Großteil der Beschäftigten mit Dequalifizierung einher. Kreatives Potenzial und berufliches Arbeitsvermögen wird nicht genutzt, Erfahrungswissen spielt kaum eine Rolle. In einigen Unternehmen dagegen wird sowohl das Erfahrungswissen der Älteren, wie auch die Medienkompetenz der Jüngeren für eine kreative Erweiterung von Geschäfts- und Arbeitsfeldern genutzt, indem Beschäftigte hier einen Gestaltungsspielraum bei der Zusammenstellung des Sortiments haben, im Team entscheiden können, welche Waren wo präsentiert werden, um damit den Abverkauf zu steuern. Hier wird generationenspezifische Kompetenz nicht nur täglich produktiv genutzt, sondern auch eingefordert für die Innovation in Unternehmen.
Moderne Technologie verändert die Art zu denken, zu kommunizieren und zu arbeiten. Diesen Wandel hat es immer gegeben, und immer haben die Generationen auf dem Hintergrund unterschiedlicher Wertigkeiten und Maßstäbe damit unterschiedliche Erwartungen verbunden. Noch nie jedoch war die Halbwertszeit des Wissens so gering und noch nie rückte die Gegenständlichkeit so stark in den Hintergrund wie heute, so dass die Interpretationen und Rollen der Jüngeren und Älteren stark divergieren. Ob technische Neuerungen mit gesellschaftlichen Rückschritten oder Fortschritten einhergehen, hängt entscheidend davon ab, wie die unterschiedliche Medienkompetenz der Generationen genutzt und kulturell eingebettet wird: In der digitalen Kompetenz der Jüngeren liegt Potenzial für vielfältige Innovationen durch neue Kreativität, Vernetzungen und eine Demokratisierung von Kommunikation und im Zugang zu Wissen. Wenn sie aber nicht mit dem Erfahrungswissen über Folgenabschätzung, einem kritischen Umgang mit Dingen und Personen, einem distanzierten Blick sowie dem Problem- und Verantwortungsbewusstsein der Älteren verbunden werden, können Digital Usern jedoch oftmals nur operativ mit den neuen Technologien umgehen, ohne Informations- und Medienkompetenz im weiteren Sinne zu entwickeln. Technologischer Fortschritt eröffnet gegenwärtig enorm viele Optionen, kreative Potenziale können sich entfalten, Innovationen können angestoßen werden. Die Anforderung besteht darin, die beiden Kulturen im Umgang mit moderner Technologie zusammenzubringen, um den in komplexen Systemen immer vorhandenen Gestaltungsspielraum nicht nur zu erkennen, sondern ihn auch verantwortlich zu nutzen und für den gesellschaftlichen Fortschritt zu gestalten.