Musik und Politik wollen sich im Falle des 1998 in Schweden gegründeten Klangkollektivs The (International) Noise Conspiracy partout nicht trennen lassen. Politisch ambitioniert war auch schon die vorherige Band des Sängers Dennis Lyxzèn, The Refused, gewesen, die mit dem musikalischen Paukenschlag The Shape of Punk to Come eine selbstbewusste Zukunftsvision des Hardcore-Punk hinterließen. Doch waren The Refused noch einer rein anarchistischen Punk-Attitüde verpflichtet, so verorten sich The (International) Noise Conspiracy sowohl musikalisch als auch politisch in einer größeren Bandbreite von Traditionen. Das Gesamtkunstwerk von Texten, Musik und Performance legt zunehmend einen revolutionären Gestaltungsdrang an den Tag, der durchzogen ist vom Geist der Utopie und einer geradezu optimistischen Haltung gegenüber der Zukunft und ihrer positiven Formbarkeit, die sich nicht in der Aufforderung Smash it Up! erschöpft. Den ersten Höhepunkt dieser zuversichtlicheren Haltung erreicht die Band dann mit dem 2001 veröffentlichten Album A New Morning, Changing Weather, das schon im Titel an die forschrittsoptimistische Metaphorik der Aufklärung und auch der späteren Arbeiterbewegung anschließt.
Doch mit einem simplen Rückgriff in die Mottenkiste von Marxismus und Arbeiterbewegung lässt es die Noise Conspiracy natürlich nicht bewenden. In ihren Texten findet sich auch eine Vielzahl von Verweisen auf Guy Debord und Michel Foucault, diverse situationistische Autoren und immer wieder The Revolution of Everyday Life von Raoul Vaneigem. Wer dabei nun an nervenaufreibende linksintellektuelle Lesezirkel denkt, dem sei ein Live-Auftritt der Schweden als Therapie ans Herz gelegt. Die unglaublichen Energien, die das Quartett auf der Bühne in höchst individuellen aber minutiös aufeinander abgestimmten Performances entfesselt, lassen beim staunenden Publikum regelmäßig die Frage aufkommen, ob auf dieser Bühne nicht mehr revolutionärer Elan vorhanden ist, als in der gesamten Zweiten Internationalen.
Retro-Punk als historische Selbstaufklärung
Doch was die Besonderheit dieser lärmenden VerschwörerInnen ausmacht, ist eben nicht nur die Fähigkeit, politische Radikalität in Musik zu übersetzen, die auch Bands wie Rage against the Machine auszeichnet. Es ist das musikalische Idiom, in der diese Verknüpfung stattfindet. Denn hier trifft die schnoddrige und kompromisslose Wucht des Punk auf vieles, gegen das sie sich vielleicht einmal wandte: den pulsierenden Beat eines kantig gewordenen Souls der späten 60er Jahre, Melodien, die man ob ihrer pentatonischen Eingängigkeit schon beinahe gegen den Vorwurf des Pop verteidigen muss, und die B3 Hammond, die ab und an sogar im Hintergrund des Albtraums klassischen Punks orgelt, der schließlich auch gelegentlichen Eingang in den eklektischen Stil der Band gefunden hat: das Gitarrensolo.
Wollte man dieser eigenwilligen Kombination durch ein Label Gewalt antun, dann wäre es wohl Retro-Punk, der sich einer ganzen Palette von Stilen und Genres, die von den 60ern bis in die 80er reicht, als Fundus bedient. Und es ist nicht zuletzt dieser Verweis auf eine musikpolitische Vergangenheit, der den oft unweigerlich plakativ daherkommenden Textparolen (we’re gonna move like a movement, because that’s what we’re gonna be) eine gewisse Tiefe verleiht. Denn bei aller Anrufung des kollektiven Transformationspotenzials, das die Zukunft zu einer anderen, besseren machen können soll, bleibt diese Beschwörung der Zukunft dialektisch verknüpft mit einer Beschwörung der Vergangenheit, bei der sie sich immer wieder zu versichern scheint, dass Veränderung trotz aller Enttäuschungen (last century promised so much, but all our heroes are dead or corrupt) tatsächlich möglich ist. So bleibt die Suche nach dem Neuen immer auch zurückverwiesen auf eine historische Selbstaufklärung (I wanna know about the young pretenders, I want to know about what it meant, I wanna know about the soulrebels, the allnighters in every weather) – musikalisch wie auch politisch.
Diese performative Selbstaufklärung, die auch eine Aneignung der Vergangenheit ist, findet ihren vorläufigen Höhepunkt im bislang letzten Album der Noise Conspiracy, dem 2008 veröffentlichten The Cross of My Calling, zu dessen Aufnahmen Rubin in die legendären Sunset Studios in Los Angeles lud, in denen schon die Rolling Stones, Led Zeppelin und die Doors Meilensteine der jüngeren Musikgeschichte produziert hatten. Gerade letztere stehen nun Pate für einen psychedelischen Soul-Punk, der im expliziten Zitat der Fender Rhodes-Melodien aus Riders on the Storm im Song Child of God am klarsten zutage tritt. Die Rezensionen bescheinigten den Texten auf jenem Album vielfach eine größere Nachdenklichkeit, mehr Reife und damit je nach ideologischer Couleur Ausverkauf an den reformistischen Mainstream oder den lobenswerten und lang erwarteten Ausgang aus den politischen Flegeljahren. Allerdings scheinen diese Rezensenten nie bis zu Stück Nummer 12 gelangt zu sein, in dessen Titel recht unnachdenklich vorgeschlagen wird, »Let’s Storm the Gates of Bevery Hills«.
Keine Revolution ohne Tanz
Und doch ist diese bildungsromanhafte Interpretation der Entwicklungsgeschichte der Band nicht gänzlich unzutreffend, allerdings nur, wenn sie gut hegelianisch darauf insistiert, dass im Verlauf von Bildungsprozessen die (eigene) Vergangenheit nicht einfach wie eine alte Haut abgestreift wird und zurückbleibt, sondern das Neue des Hier und Jetzt immer auch zurückverwiesen auf diese Vergangenheit bleibt, an die angeknüpft werden kann und muss, um in einem Versuch der kontinuierlichen Selbstüberschreitung die Einseitigkeiten der jeweiligen Gegenwart zu überwinden.
Die Musik von The Cross of my Calling in all ihrer Bandbreite kann als ein solcher Versuch der produktiven Rückbindung an ästhetisch-politische Impulse der eigenen Vergangenheit – sowohl band- als auch musikhistorisch – verstanden werden: Hier ist Punk (Black September) mit Soul (Boredom or Safety) und Funk (Satan made the Deal) mit Rock (Dustbin of History) in ein Ganzes verwoben, das Kraft aus der Fülle seiner vielfältigen Quellen schöpft und daraus den Anspruch erhebt, die Zukunft gestalten zu wollen und zu können – was alles noch gar nicht so besonders wäre, wenn da nicht auch noch das tatsächliche Alleinstellungsmerkmal der Musik der Noise Conspiracy wäre: Das in jeder Note mitschwingende unbestimmte Gefühl, all das könnte nicht nur ziemlich aufregend werden, sondern sogar irgendwie auch ganz schön viel Spaß machen.
Emma Goldman gab bekanntlich einst sinngemäß zu Protokoll, sie werde wohl nicht zur Revolution auftauchen, falls sie dort nicht tanzen könne. Der (International) Noise Conspiracy wäre es durchaus zuzutrauen, dass sie die Leute sogar noch auf den Barrikaden zum Tanzen bringen. Entweder tanzen alle, oder keiner tanzt.
The First Conspiracy (1999).
Survival Sickness (2000).
Bigger Cages, Longer Chains (2001).
A New Morning, Changing Weather (2001).
Armed Love (2004).
The Cross of my Calling (2008).