Das Online-Magazin zur Zeitschrift | HALBJAHRESMAGAZIN polar






polar #9: Fortschritt



EDITORIAL

 
Peter Siller, Bertram Keller
Editorial



AUFKLÄRUNG

Diese Seite steht zur Zeit nicht zur Verfügung.



AUFBRUCH

 
Petra Hauffe/Judith Karcher
Stillstand ist der Tod
Worauf beruht das Postulat des steten Wachstums?
 
Isa Jahnke/Dorothea Voss-Dahm
Ambivalente Wirkungen
Digitale Demenz versus Kreativitätspotenziale
 
»Die Idee des Virtuellen ist zerplatzt«
Interview Geert Lovink
 
Justus SchĂĽtze
Power from the people
Energetischer Fortschritt fĂĽr alle
 
Rebecca Harms
Das WĂĽstenstromprojekt
Warum ökologischer und sozialer Fortschritt solare Großkraftwerke braucht
 
Neue Berliner Sprachkritik
Der wahre Text: >Krönung der Schöpfung<
 
Jan Fuhse
Unsterblichkeit im Cyber-Space
Zur Konstruktion von technischem Fortschritt in der Science Fiction
 
Michael Makropoulos
Der Raum des Fortschritts
Architekturmoderne und Massenmotorisierung
 
 

»So einfach wie möglich«

Interview Arno Brandlhuber/Diébédo Francis Kéré


Das Geschäft mit der protzigen corporate architecture und den megalomanischen, himmelhoch wachsenden Wohnturm-Visionen ist durch die Auswirkungen der Finanzkrise ins Stocken geraten. Die Stars dieser Bauweise wirken heute ziemlich vorgestrig. Schlägt jetzt die Stunde für eine neue Generation von post-utopischen Architekten, die mit innovativen, traditionsübergreifenden Konzepten, nachhaltig, mit bescheideneren ökonomischen Mitteln und sogar partizipativ arbeiten? Kündigt sich eine spannende Veränderung im Dialog zwischen Architektur und Gesellschaft an, in der die Rolle des Architekten, seine Methoden und Verantwortlichkeiten grundlegend überdacht werden? Darüber unterhalten hat sich Anna-Catharina Gebbers mit dem für seinen »Hyperkontextualismus« und seine Zusammenarbeit mit Künstlern wie Theoretikern bekannten Architekten Arno Brandlhuber und dem Aga-Khan-Preisträger Diébédo Francis Kéré, der zur Zeit Christoph Schlingensiefs Operndorf in Burkina Faso baut.

I. Auf Ruinen

polar: Arno, ein von Dir gebautes Wohn- und Gewerbehaus in der Berliner Brunnenstraße, in dem Du auch lebst, sorgt gerade über die Architekturwelt hinaus für frenetische Begeisterung. Kannst Du uns dieses Projekt kurz beschreiben?

AB: Das Haus in der Brunnenstraße ist auf den Fundamenten einer Investorenruine entstanden. Das 1993 abgebrochene Bauvorhaben war nur bis zur Oberkante des Kellers realisiert worden. Dass wir auf dieses Fundament mit dem bereits angelegten Fahrstuhlund Versorgungskern aufbauen, bildete eine Vorbedingung für unseren Erwerb des Objekts im Jahr 2006. Die zweite Verkaufsbedingung war, dass die Gebäudehöhe so kalkuliert werden sollte, dass die Häuser im Innenhof noch Sonne bekommen. Aufgrund diepolar 9 Arno Brandlhuber/Diébédo Francis Kéré 119 ser vielen Außenbedingungen haben wir uns entschlossen, unseren Entwurf noch weiter zu kontextualisieren und beispielsweise die Gebäudehöhen und Geschossdecken der benachbarten Häuser aufzunehmen. Da diese unterschiedlich sind, ergibt sich in der Mitte unseres Gebäudes ein Versprung, eine Sitzstufe. Die eigentlichen Treppen haben wir nach Außen verlagert, die unterschiedliche Gebäudetiefe der Nachbarn ausnutzend. Die vordere Fassade besteht größtenteils aus sehr kostengünstigen, die Wärme gut dämmenden Polykarbonat-Paneelen, die von neuen Nutzern wahlweise auch durch eine andere Oberfläche ersetzt werden könnten. In Diskussion mit der in den unteren Etagen ansässigen Galerie haben wir die nur zu zwei Dritteln fertiggestellte Kellerdecke nicht geschlossen und dadurch einen siebeneinhalb Meter hohen Raum ermöglicht. Die Decke könnte später geschlossen werden. Ein fünf Meter hohes Tor im Erdgeschoss erlaubt es den Galeristen, die in und mit der Öffentlichkeit arbeiten wollen, ihre Räume radikal zur Umgebung zu öffnen und umgekehrt mit der von wilden Plakatierungen und Tags übersäten Tür ein Stück Außenraum nach Innen zu klappen. Bis auf die wenigen weißen Wände, die die Galeristen an einigen Stellen eingezogen haben, ist im gesamten Gebäude der günstige Rohbeton zu sehen, die Böden im Rohbaustadium geglättet, ohne Trittschalldämmung. Wenn unseren Nachbarn das zu laut sein sollte, ziehen wir Schuhe mit weichen Sohlen an. Die Baugesetzgebung ist maßgeblich für Nachbarn entstanden, die nichts miteinander zu tun haben wollen. Bei uns ist Kommunikation entscheidend. Die offen verlegten Heizungsrohre sind nicht isoliert, sondern Teil der Heizungsanlage. Somit kommt es an einigen Stellen dazu, dass der Fußboden der jeweils oberen Etage von unten mit geheizt wird. Mit allen Nutzern haben wir uns verständigt, die Heizkosten einfach entsprechend der jeweiligen Nutzfläche zu teilen. Diese Nutzer würden ohnehin in neuen Räumen zuerst die Raufasertapeten von den Wänden lösen, den Laminatboden entfernen und alles in einen möglichst rohen Zustand zurückführen, einen veredelten Rohbau suchen. Die Grundmiete entspricht der Umlage der allen Bewohnern bekannten Bankzinsen: Wir haben günstige Materialien verwendet, die Oberflächen und Grundrisse nicht überdeterminiert – daher sind die Kosten für alle Beteiligten niedriger als in den umliegenden Häusern. Das macht es für uns alle überhaupt erst erschwinglich, hier zu wohnen und zu arbeiten.

polar: Francis, Du hast für Dein Schulgebäude in Gando den Aga-Khan-Preis erhalten. Kannst Du uns etwas über Deine Konzeption erzählen?


DFK: In Schulgebäuden, die in traditioneller Bauweise in Burkina Faso errichtet werden, herrschen klimatische Bedingungen, unter denen Kinder nicht gut lernen können. Das habe ich versucht, mit natürlicher Ventilation zu ändern. Die Decke ist mit einem gewissen Abstand von einem Blech überdacht. Wenn sich das Blech erhitzt, wird die Luft zwischen der Decke und dem Dach immer heißer. Sie entweicht und durch Öffnungen in der eigentlichen Decke entsteht ein Sogsystem. Im Klassenraum gibt es eine bestimmte Anzahl von Fenstern, die diesen Sog ventilierten und der Statik entsprechen. Das Dach schützt darüber hinaus vor Regen. Dieses Prinzip verwenden wir nun auch bei anderen Gebäuden. Mittlerweile bauen wir sogar nur noch diese Rahmenkonstruktion und übergeben sie dann den Menschen zum Selbstausbau. Genauso funktioniert es mit dem Modul, das wir für das Operndorf in Laongo, das wir für Christoph Schlingensief bauen, entwickelt haben. Das relativ erschwingliche Modul entspricht der Größe der Wohnhäuser der Menschen. Im Operndorf demonstrieren wir, wie es gebaut wird und wie multifunktional es einsetzbar ist. Durch Addition und Stapelung lassen sich daraus Wohn- und Funktionsgebäude bauen. Wachstum ist auch formal in der Schnecken-Grundform des zentralen Gebäudes angelegt. Das gehörte zu unserem Idealplan, den wir vor Ort an das Gelände angepasst haben. Zu diesem Anpassungsprozess gehörte übrigens auch, dass es mir vor Ort als Beleidigung gegenüber der Bevölkerung erschien, eine Oper in einem Land zu bauen, in dem extrem starke Regenfälle ganze Dörfer wegspülen können. Deshalb entwickelte sich die Idee des Operndorfs, des Remdoogo. Weil das Gelände nicht befestigt ist und ein einziger Regen unter Umständen einen ganzen Bezirk wegschwemmen kann, lege ich die Gebäude mithilfe eines Betonfundaments ein Stück hoch. Als weiteres Material haben wir für die Schule in Gando Lehmbausteine verwendet, die durch eine einfache Maschine stabiler als die traditionell handgefertigten sind und die wir gemeinsam mit der Bevölkerung vor Ort herstellen können. Wir haben eine so gute Qualität erreicht, dass die vor zehn Jahren erbaute Schule noch heute ohne Wartung auskommt. Die Schule in Dano haben wir mit Lateritstein gebaut – ein Material, das normalerweise für Armut steht, weil es durch Bodenerosion zu Tage kommt.

II. Architekten als soziale Mediatoren

polar: Für Eure kontextualisierte Bauweise ist es wichtig, den Kulturkreis, für den man etwas plant, sehr genau zu kennen. In einem Interview hast Du, Francis, einmal gesagt, dass Dir diese Vorgehensweise bei einem Projekt in Indien sehr viel schwerer gefallen ist und Du vor Ort kein Team hattest, das gleichwertige Vermittlungsarbeit wie bei Euren Projekten etwa in Burkina oder Mali leisten konnte. Bei Euren Verfahren wird besonders deutlich, dass der Architekt als sozialer Mediator fungieren muss. Bekommt die soziale Verantwortung der Architektur da nicht noch einmal eine ganz konkrete Rolle? Schlägt die Stunde für eine neue Generation von Architekten, die mit innovativen, traditionsübergreifenden Konzepten, nachhaltig, mit bescheideneren ökonomischeren Mitteln und eventuell sogar partizipativ arbeiten?


DFK: Dafür muss man Leute finden, die den Geist des Projektes teilen – das beginnt mit dem Bauherren und geht bis zu den Menschen, die die Gebäude nutzen. In Burkina musste ich auch die Bevölkerung überzeugen. Dann hat die Dorfgemeinschaft zusammen den Lehmboden traditionell gestampft und ich habe die Leute vor Ort geschult, die Steine zu bauen. Dadurch war das Projekt zeitintensiv. Und ein kollektives Bauprojekt muss man auch in den Tagesrhythmus der Leute einpassen. Wenn man weniger Zeit hat, muss man mehr Mittel aufbringen, mehr Menschen beschäftigen und mehr Baugerät heranschaffen. In Gando haben die Menschen Zeit. Und so ein Projekt ist wie ein großes Volksfest: Alle kommen und jeder trägt dazu bei, dass es vorankommt. Wenn innovative Lösungen keine modischen Entscheidungen darstellen, sondern sich wirtschaftlich rechnen, dann haben experimentelle Modelle eine Chance. Wenn es sich aber nur um eine modische Bewegung einiger Weniger handelt und diese möglicherweise sogar durch Protest motiviert sind, dann wird diese Entwicklung schnell wieder einschlafen. Aber es gibt in der Tat ökonomische, ökologische und gesellschaftliche Veränderungen, die uns dazu zwingen, intelligenter zu planen und mehr zu machen als üblich. Letztendlich profitiert der Benutzer davon. Und da stimme ich mit Arno überein, wenn die Nutzer die Gebäude, die sie beziehen, ohnehin erst in den Rohzustand bringen, wozu muss ich dann zuvor einen großen Aufwand mit Oberflächen und sinnlosem Design betreiben.

AB: Aber wir dürfen nicht erlauben, dass unsere Art zu bauen als New Chic des Einfachen betrachtet wird, so wie etwa die Schweizer Architekten vor 10, 15 Jahren präsentiert wurden, sondern wir müssen ganz nutzungsnahe Überlegungen anführen, also viel mehr aus der Begründung herauskommen. Dazu drei konkrete Gedanken: Nachhaltigkeit muss über die gesamte Energiebilanz einschließlich der einzusetzenden finanziellen Mittel gerechnet werden. Zur Erstellungsenergie eines Gebäudes gehört nicht nur der Bau, sondern auch das Erwirtschaften des Geldes, das bereits Energie kostet. Und wenn man zum halben Preis baut, muss man zuvor nur das halbe Budget erwirtschaften. Nachhaltigkeit nur über Dämmungen zu regeln, ist hier kontraproduktiv. Architekten sind aber kaum in der Lage, diese günstigen und daher planungsintensiveren Gebäude zu entwickeln, weil die notwendige Entwicklungsarbeit nicht honoriert wird. Zudem schuldet der Architekt nach üblicher Weise ein Gebäude ohne Abweichungen von Normen und üblichen Standards. Investoren fragen zumeist aus Gründen der einfacheren Vermarktung nur Produkte für den größten Durchschnitt an. In Berlin gerät jetzt allerdings einiges in Bewegung, da die Ideologien des »steinernen Berlins« den inhaltlichen und visuellen Belastungsproben nicht mehr standhalten: Hier wird erst ein Betongebäude gebaut, dann der Stein wie eine Tapete davor gesetzt und die Diskussionen der Architekten erschöpfen sich darin, wie der geölte Eichenhandlauf des Treppengeländers auf den Naturstein trifft, wie Niklas Maak in einem seiner letzten Artikel zuspitzte. Das sind Diskussionen, die mit den tatsächlichen Bedürfnissen und der aktuellen ökonomischen wie ökologischen Debatte nichts zu tun haben. Eine neogriechische Stütze aus Vollmaterial herzustellen und Unter den Linden einzusetzen, aber gleichzeitig die griechische Finanzkrise zu diskutieren, zeugt von einer schizophrenen Wirklichkeitswahrnehmung. Der kommunikative Aspekt dieser Gebäude zeigt hier eben auch ihre ideologische Bedingtheit. Ein wirklich aktuelles Gebäude hingegen könnte sich als Ordnen von sozialen Beziehungen verstehen und die Kommunikation zwischen Bauherren, Architekt und Nutzern sollte über die gewöhnlichen Verhandlungen hinaus gehen.

III. Schön ist, was schlüssig ist

polar: Wie vertragen sich strukturell-funktionale und ästhetische Überlegungen?


AB: Aus pragmatischen Erfindungen kann sich durchaus Schönheit entwickeln. Ich denke da z.B. an die Dachkonstruktion des von Francis entwickelten Schulgebäudes in Gando – die ist extrem schön! Aber nicht als extrem schön überlegt. Der Armierstahl, den Du unverkleidet verwendet hast, ist der günstigste Stahl und er ist bequem vor Ort zu verarbeiten. Ich wäre dafür, eine Umkehrung zu vollziehen – und als Überschrift zu formulieren: Was in sich schlüssig ist, ist auch schön.

DFK: Du hast völlig recht: Es ging um ökonomische, klimatische, technische und soziale Machbarkeit und ich musste das allein ohne großen Planungsstab realisieren können – so haben wir gebaut. Auch die im Nachhinein sehr schönen Gebäudemauern in Bamako in Mali sind ganz pragmatisch aus dem Stein entstanden, den es vor Ort gab und den die Arbeiter so geschnitten haben, dass sich daraus dichte Wände zusammenfügen ließen.

AB: Eine Lösung, die aus der Situation heraus schlüssig ist, ist am Ende eben schön. Vielleicht es das auch eine Übung, die uns lehrt, dass die Dinge nicht über eine bestimmte ästhetische Oberfläche als »schön« oder »nicht schön« gekennzeichnet werden, sondern über eine Art innere Logik, Schlüssigkeit, Einfachheit und weitere Begriffe. Das heißt natürlich auch, dass wir uns diesen Oberflächen anpassen müssten.

DFK: Aber es stimmt: Jeder traditionelle Afrikaner würde sich in Deinem Haus in der Brunnenstraße wohlfühlen. Mich erinnert beispielsweise die ganz einfache Rückenlehnenkonstruktion aus Schnüren bei Deinen Bänken an Stühle aus Togo. Man ist frei, sich darauf zu setzen wie man möchte: angelehnt oder vorne.

IV. Gestaltungsmut


AB: Dadurch, dass wir hier alles aufs Wesentliche reduziert haben, wird eine Aneignungsoffenheit gewährt. Einzig in unserem Bad findet sich der Gestaltungswille, alles hinter Spiegeln zu verstecken, und man kann sich fragen, ob das notwendig ist.

DFK: Diesem Objekt muss man dennoch nicht nachträglich andichten, dass es einfach ist – es ist tatsächlich einfach. Aber es braucht den Mut und den Witz, so ein Projekt tatsächlich zu realisieren. Mit diesem freien Umgang mit dem Material und der Struktur eröffnest Du anderen Architekten neue Möglichkeiten. Da denke ich ganz ähnlich wie bei den Gemüseanbautechniken, die wir den Kindern in Gando zusätzlich zum Alphabet vermitteln und die wir mithilfe einer sehr einfachen Regenwasserauffanganlage ermöglichen: Wir verändern mit diesen vorgelebten Beispielen auch die Zukunft. Und dass jemand so etwas in Deutschland tut, ist besonders bemerkenswert. Das könnte ein Umdenken anstoßen: Man muss nicht immer alles gleich perfekt machen, sondern kann dem Bau auch die Möglichkeit zur Entwicklung geben. Auch das Auffangbecken für Regenwasser in Gando ist so konzipiert, dass es erweitert werden kann, sobald wieder Geld da ist. Und ein Gebäude lebt. Es ist ein Organismus. Es verändert sich nach ein paar Jahren. Es muss Raum für so etwas geben.

AB: Von 1.000 Entscheidungen sind sicherlich zwei falsch, aber das muss man zulassen können. Ein Haus sollte nicht mit der Übergabe als abgeschlossen betrachtet werden. Vielmehr sollte es eine Anpassungsphase zulassen, in denen der Nutzer sich und das Gebäude anpassen kann. Bei einem üblichen Bauherrenprojekt wäre das nicht unmittelbar gegeben – wir konnten so etwas nicht ohne Gleichgesinnte entwickeln.

DFK: Wir haben Glück, dass wir dort bauen dürfen, wo die Leute noch sehr neugierig sind und dass wir bei einigen Projekten Bauherren gefunden haben, die bereit sind, die Mittel für Experimente bereitzustellen und das Risiko zu tragen. Das findet man immer weniger, es sei denn man findet Gleichgesinnte wie Du.

AB: Alle geschilderten Objekte verbindet, dass sie in ihrer Umgebung modellhaft sind und Lehrcharakter haben, sie sind nutzungsneutral, also tauglich für verschiedene Formen der Nutzung, die Projekte sind in einer spezifischen Situation sinnvoll und die Bauvorhaben arbeiten mit relativ knappen Ressourcen.

V. Potlach

polar: Eine weitere Ähnlichkeit zwischen Euch scheint mir zu sein, dass es bei Euch beiden zunächst eine Kernidee gibt, um die herum das Projekt in der Kommunikation, in der Auseinandersetzung mit den Beteiligten und den Bedingungen wächst. Die soliden Endresultate lassen nicht vermuten, wie viel an Kommunikation, Netzwerken, theoretischer Vorarbeit in jedes Projekt einfließt. Zum Teil holt Ihr Euch bewusst fachfremde Leute dazu, zum Teil ergibt sich der Ideenaustausch auch einfach.

DFK: Wir brauchen Menschen und andere Erfahrungswerte, die andere Faktoren einbringen. Ich werde immer hellhörig, wenn sich jemand – egal aus welchem Fachgebiet – reflektiert mit meinen Projekten auseinandersetzt. Und umgekehrt interessiert mich zum Beispiel Deine Arbeit, Arno, mit all ihren sozialen Anknüpfungspunkten sehr. Für mich sind auch die Menschen in Afrika ein wichtiger Einfluss. Zeit bedeutet für sie etwas ganz anderes und sie zeigen mir deutlich, dass man mit Hetze keinesfalls etwas gewinnt: Die Behebung eines durch Eile entstehenden Fehlers kann sehr viel Zeit kosten.

AB: Aber interessiert sich beispielsweise Christoph Schlingensief auch für andere Projekte von Dir und bringt sich ein? Das würde eine andere Form von Ökonomie bedeuten, die über Tausch funktioniert. Auch mit dem Bauherren könnte es einen Tausch geben: Jeder Auftraggeber müsste sich in die Lage versetzen, Dir unabhängig von der Bezahlung etwas zurückzugeben, weil die Bezahlung nur die Aufwandsentschädigung ist. Abgesehen vom Ausgleich auf der profanen Ebene sollte ein Tausch stattfinden, der die Wertschätzung der Auseinandersetzung ausdrückt. Daraus würden sich völlig andere Valuierungskonzepte ergeben.

VI. Verlangsamung und Ökonomie


DFK: Wir denken genauso, aber ich bin auch für angemessene Bezahlung. In meinem Büro arbeitet man nicht umsonst, ich bin nicht für Praktikantenausbeutung. Ein so schönes, durchdachtes Gebäude wie Deines in der Berliner Brunnenstraße ist das wertvollste, was man einer Stadt oder einem Bauherren geben kann. Und davon muss man auch leben können. Wir müssen den finanziellen Aufwand benennen können, sonst können wir nicht schaffen, was wir schaffen.

AB: Unsere Verfahren stellen eine Verlangsamung dar. Gerade in diesem Bereich von Berlin, der zur Zeit eine Aufwertung erlebt, ein Bauvorhaben zu realisieren, dass sich an einem niedrigen Erstellungspreis orientiert und niedrige Miete gewährleistet, heißt ja auch, sich gegen eine bestimmte Entwicklung zu stellen. Während wir hier auf eine Umgebung, die sich vielleicht zu schnell entwickelt, mit Verlangsamung reagieren und versuchen, einen anderen Diskurs zu eröffnen, habt Ihr nicht das Problem der Fläche, sondern bringt der Umgebung eine extreme Aufwertung und wirkt der rasanten Landflucht entgegen.

VII. Schlussfolgerungen

polar: Könnt Ihr vor dem Hintergrund Eurer jeweiligen Erfahrungen aus der Innensicht der Architekten Fortschrittsforderungen formulieren?


AB: Die Produktion von Architektur, das Realisieren von Gebautem muss kostengünstiger gelingen als bisher – aus verschiedensten Gründen, die wir eben genannt haben. Nutzungsneutralität, Unterdeterminiertheit, Aneignungsoffenheit und Möglichkeitsräume könnten sich strategisch nachhaltiger erweisen als etwa die Optimierung von Wärmedämmung. Und die Bezahlung eines tauglichen Architekten deckt dessen Unkosten, seine Entwicklungsleistung bleibt somit unhonoriert und fordert einen weitergehenden Tausch ein.

DFK: Der Architekt darf nicht nur als Dienstleister betrachtet werden, der nur Pläne für einen Investoren zeichnet. Bauen darf nicht mehr nur durch das Kapital diktiert werden, sondern muss wieder als Aufgabe mit gesellschaftlicher Verantwortung betrachtet werden. Ich höre immer wieder, dass wir eigentlich gescheiterte Soziologen sind. Die größte Freude an meiner Arbeit entwickle ich, wenn sie bei den Menschen Begeisterung auslöst, beispielsweise für Materialien. Das gelingt am besten, wenn die Menschen Teil des Prozesses werden.

polar: Wärest Du bei bestimmten Bauvorhaben fürs Plebiszit?

AB: Nein, wenn diese auf vereinfachenden Diskussionen basieren und populistische Entscheidungen befördern, wie z. B. ein Schweizer Volksentscheid den Neubau von Moscheen verbietet. Man sollte jedem Häuptling, jedem Beteiligten das Projekt erklären, solange bis es wirklich klar wird. Das könnte ohne Unterschied für Afrika wie Europa gelten: Das Ziel der Kommunikation ist nicht das Einholen von Genehmigungen, sondern die beteiligende Klärung.

DFK: Das sehe ich genauso. Unsere Standards mögen unterschiedlich sein, aber die Vorgehensweisen sind sehr ähnlich. Man sollte es hinkriegen, dass Bauen wieder eine gesellschaftliche Verantwortung verlangt. Der Architekt sollte nicht als simpler Planersteller hinter anonymen, großen Bauunternehmen verschwinden. Das ist wider die Architektur.

Das Gespräch führte Anna-Catharina Gebbers.



 
Arnd Pollmann
Ein schwacher Trost
Geschichtsphilosophie fĂĽr Fortgeschrittene
 
Alban Lefranc
Mein halbes Jahr >Literatur<
Lucilio Vanini – Samuel Beckett – Don DeLillo – Pierre Michon
 
Matthias Dell
Mein halbes Jahr >Film<
Lotería – Mammut - Sandkastenspiele
 
Christoph Raiser
Mein halbes Jahr >Musik<
Zola – DJ Mujava – Buraka Som Sistema – Bonde Do Role – Edu K



AUFGABE

 
Juliane Rebentisch
Wider die ästhetische Regression
Kunstkritik jenseits von Differenzfetischismus und Retro-Modernismus
 
Thomas Biebricher
Backbeat Revolution
Geschichte wird gemacht: The (International) Noise Conspiracy
 
Metin Genc
Ein Detektor ist ein Detektor ist ein Detektor
Literarisches vom Standpunkt der Zeit
 
Barbara Holland-Cunz
Unerledigte Utopie
Zur Renaissance der 1970er Jahre – kulturindustriell und utopisch
 
Gabriele Dietze
Der okzidentalistische Geschlechterpakt
Emanzipation als uneingelöstes Versprechen
 
Martin Saar
Bildpolitik: >Vorwärts<
 
Ina Kerner
Leben im Kapitalismus: >Fortschrittskontrollen und Post-Development<
 
Susann Neuenfeldt/Simon Strick
Hallo Karthago/Hallo Rom: >Reck Deine Glieder<



SCHÖNHEITEN

Diese Seite steht zur Zeit nicht zur Verfügung.


nach oben