In den letzten Monaten ist am Fall Italien und vor allem am Auf und Ab von Beppe Grillos Fünf-Sterne-Bewegung deutlich geworden, wie sehr Abgrenzungen in Form von Narrativen politisches Handeln beeinflussen und dabei gleichermaßen politischen Erfolg wie Misserfolg begründen können. Das hängt vor allem davon ab, wie starr die »narrativen Grenzen« sind. Grillo, der seinen Wahlkampf vor allem auf einer scharfen Abgrenzung gegenüber der politischen Klasse Italiens aufbaute, muss heute zusehen, wie ihm langsam die Felle davonschwimmen, vor allem aber, wie er mit dazu beiträgt, dass die ItalienerInnen immer weniger Lust auf Politik haben.
Politik lebt von Narrativen, die das Handeln der PolitikerInnen mit Sinn versehen. Diese Narrative geben eine Deutung der Realität wieder, auf deren Grundlage politisches Handeln begründet wird. Dazu gehört auch, Anderen eine bestimmte Rolle im Narrativ zuzuteilen und sie so zu Protagonisten oder Randfiguren, zu Helden oder im Zweifel sogar zu Bösewichten zu machen. Mit Hilfe von Geschichten über die Beschaffenheit der Welt werden also narrative Grenzen zwischen »uns« und »denen« gezogen. Die einfachsten Beispiele im politischen Feld sind Abgrenzungen zu anderen Parteien, ob nun entlang der klassischen Links-Rechts-Trennung oder entlang der schwammigen Grenze zwischen der politischen Mitte und den Rändern links wie rechts. In der Regel sind narrative Grenzen begrenzt variabel, denn politische Gruppierungen müssen Koalitionen eingehen, um Mehrheiten zu erreichen. Diese Koalitionen bedienen sich dann häufig neuer narrativer Grenzen, um sich gegenüber der Opposition abzugrenzen und die eigenen Reihen zu schließen. Generell gilt dabei, dass die Abgrenzung umso stärker ist, je deutlicher sie über Prinzipien formuliert wird. Wenn politische Akteure Anderen vorwerfen, ideologisch zu argumentieren, ist diese Grenze schwieriger zu überwinden als die Abgrenzung über Sachargumente, denn Ideologien ist – so die allgemeine Überzeugung – durch pragmatische Argumente nicht beizukommen.
Italiens tiefe Gräben Italien ist ein wunderbarer Fall, um die Beziehung zwischen narrativen Grenzen und politischem Leben zu untersuchen. In der Nachkriegszeit hielt der Antifaschismus die Parteien noch ein paar Jahre zusammen, bis der Druck der USA und der katholischen Kirche zu groß und die Kommunistische Partei Italiens KPI fortan von allen Regierungsbildungen ausgeschlossen wurde. Das Narrativ dahinter war das der »roten Gefahr«, die gebannt werden müsse. Das war insofern ein wenig absurd, als die KPI, die zu ihren Spitzenzeiten über 30 Prozent der Stimmen erhielt, in verschiedenen Etappen mehrere Brüche mit Moskau vollzog und gegen Ende der ersten italienischen Republik, als die regierenden Parteien unter Korruptionsvorwürfen zusammenbrachen, im Prinzip schon sozialdemokratisiert war. Dennoch änderte das nichts daran, dass das Narrativ der roten Gefahr auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion viel Potential zur Wählermobilisierung hatte. Denn in genau diese Kerbe schlug Silvio Berlusconi, der 1994 als Unternehmer die politische Bühne betrat und sich als Retter eines freien Italien gerierte. [...]
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