polar #15: Grenzen
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SCHLAGBAUM
Andreas CasseeEin Recht auf globale Bewegungsfreiheit?Einwanderungsbeschränkung und individuelle Selbstbestimmung | Die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit innerhalb eines Landes ist ein anerkanntes Menschenrecht. Einen individuellen Anspruch, sich international frei zu bewegen und niederzulassen, kennt das geltende Recht hingegen nicht. Gibt es eine überzeugende Rechtfertigung für diese Asymmetrie?
Wenn ich meinen Wohnsitz von Zürich nach Genf verlegen möchte, so wird das gemeinhin als mein gutes Recht angesehen. Niemand kommt auf die Idee zu fordern, man möge in Zürich die »Migrationsursachen bekämpfen«, statt mich in Genf einzulassen. Ich brauche auch nicht geltend zu machen, dass ich in Zürich politisch verfolgt werde, um einen Anspruch zu haben, in Genf aufgenommen zu werden. Ich habe ganz einfach das Recht, selbst darüber zu bestimmen, in welcher Schweizer Stadt ich leben möchte. Und wenn ich mich entscheide, nach Genf zu ziehen, dann darf mich weder der Schweizer Staat noch die Stadt Zürich oder die Stadt Genf daran hindern. So jedenfalls verlangt es das geltende Völkerrecht: Es gibt ein verbrieftes Menschenrecht, sich innerhalb eines Landes frei zu bewegen und niederzulassen.
Wenn ich meinen Lebensmittelpunkt statt nach Genf allerdings nach Montreal oder nach Kampala verlagern möchte, so sieht die Rechtslage plötzlich ganz anders aus: Zwar darf mich die Schweiz nicht an der Ausreise bzw. an der Auswanderung hindern; auch dies würde gegen einschlägige völkerrechtliche Konventionen verstoßen. Aber Kanada und Uganda steht es frei, mir die Einreise und Niederlassung zu verbieten: Das geltende Völkerrecht kennt keinen individuellen Anspruch, sich zwischen nationalstaatlichen Territorien frei zu bewegen.
Im politischen Diskurs gilt das staatliche Recht, Einwanderungswillige abzuweisen, meist als so selbstverständlich, dass es gar nicht erwähnt oder begründet zu werden braucht. Die Debatten drehen sich darum, welche Migrationspolitik dem jeweiligen Land und seinen Bürgerinnen wirtschaftlich am dienlichsten ist, ob die Einwanderung für das Land kulturell eher eine Bereicherung oder eine Belastung darstellt etc. Dass es an den Bürgerinnen der einzelnen Staaten ist, darüber zu entscheiden, wie viel Einwanderung sie zulassen wollen, und dass sie dies nach Maßgabe ihrer eigenen Vorstellungen und Interessen entscheiden dürfen, gilt als unkontrovers. Ein individueller Anspruch, auf einem Staatsgebiet aufgenommen zu werden, wird allenfalls im Zusammenhang mit Flüchtlingen thematisiert. Typische Wirtschaftsmigrantinnen, so die nahezu einhellige Meinung, haben grundsätzlich keinen Anspruch, aufgenommen zu werden. [...]
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