Das Online-Magazin zur Zeitschrift | HALBJAHRESMAGAZIN polar






polar #10: Endlich



EDITORIAL

 
Peter Siller, Bertram Keller
Editorial



UNBEGREIFLICH

 
HĂ©ctor Wittwer
Ist der Tod unbegreifbar?
Versuch einer philosophischen Aufklärung
 
Anja Kauppert
Der gegenwärtige Tod
Drei Weisen, sich auf den Tod zu beziehen
 
Petra Gehring
Sterbepolitiken
Neuroforschung und Hirntod
 
Irmhild Saake
Die Kultur des Sterbens
Praktiken der Symmetrisierung
 
Francisco J. Varela †
Intime Distanzen
Fragmente einer Phänomenologie der Organtransplantation
 
»Der Tod ist die Kunst des Verschwindens«
Interview Jean Baudrillard
 
Peter Siller
Der letzte Film
Gibt es ein Leben vor dem Tod? Herk Harveys Carnival of Souls
 
Henriette Gunkel
»… after a short illness«
Tod und Endlichkeit in SĂĽdafrika



UNENDLICH

 
Carlos Becker/Benjamin Pfeifer
Niemand stirbt!
Tod und Untergang im politischen Protest
 
Einar Schleef
SCHWARZ ROT GOLD
 
Katrin Göring-Eckardt
Die Letztzeit gestalten
FĂĽr eine neue Kultur des Sterbens
 
Sebastian Knell
Wer bleiben kann
Lebensverlängerung und Gerechtigkeit
 
Corina Salis Gross
Ansteckender Tod
»Rüstige«, »Abgebaute« und »Todeskandidatinnen« in Alters- und Pflegeheimen
 
Anna Geis/Sabine Mannitz
Soldatentod
Ein postheroisches Unbehagen
 
Stefan Huster/Thomas Biebricher/Arnd Pollmann/Nils Saniter
Ist es links?: >Nie wieder Krieg<
 
Anja Finger
Todes Bruder
Schlaf-Bett-BezĂĽge
 
Susann Neuenfeldt
Heiner MĂĽller
Der doppelfüßige Tänzer mit dem Tod
 
 

Susann Neuenfeldt/Simon Strick

Hallo Karthago/Hallo Rom: >Theatertod<


Hallo Rom,

vom Tod versteht deine Demokratie nichts. Vom Theater noch weniger. Der Tod, ein ausgemusterter Soldat. Das Theater, eine lebensverlängernde Maßnahme im braven Bildungsbürgerleben. Theater und Tod sind kalkulierbare Größen in deiner kleinmütigen Marktwirtschaft. Aus beidem kann man Profit schlagen. Zack. Aus dem Theater in deinem Land ist nie eine Revolution hervorgegangen, geschweige denn aus deinen Kirchen. Von guten Mächten wunderbar geborgen, waren die bärtigen Bürgerrechtler der DDR im November 89. Und wenn sie nicht gestorben sind, sitzen sie noch heute im Bundestag. [Teddy hab sie selig.] Aber sag mal – ganz unter uns 20 Jahre nach dem Fall der Todesmauer – hast du schon mal ein Land untergehen sehen mit fliegenden Fahnen und hellen Kinderstimmen aus der Konserve? Ein leeres Land, das nur sich selbst noch gleicht. Den Dolch der Revolution im Nacken. Und keine Hand. [Jaja, das ist Müller.] Aus deiner liberalen Demokratensicht mag das gefährlicher Patriotismus sein. Für eine Idee zu sterben bereit, waren bei euch nur Bundeswehrsoldaten oder Terrorist_innen aus gutem Hause und der Studienstiftung. Großes Theater ist das! Sterben – sterben, nochmals sterben – [Das ist Lenin] muss man sich in deinem Land auch erst mal leisten können. Dein innerer Kapitalismus marodiert vor sich hin; eine abgetakelte Diva im Spiegelkabinett mit immer neuen Verjüngungstechniken und Schönheitsoperationen. Rom, auf die Toten kann man zählen. Auf die Idee ist die Feinmechanik deines Kapitalismus noch nicht gekommen. Wer tot ist, leistet nichts. Wer tot ist, kommt nie wieder. Und wer tot ist, hat nichts zu sagen im Kapitalismus. [Ihr seid doch eine Demokratie. Unsere Toten hatten Mitspracherecht. Auf die Toten hat man gehört. Sie sind uns in unseren Tag/Träumen erschienen und für uns gestorben. Frag Müller.] In deinem Land hausiert der Tod, der sich auszahlt. Ein Familien¬erbe ist immer drin, väterlicher- oder mütterlicherseits. Keinen Hund kann das hinterm Ofen hervorlocken. Nicht einmal einen toten oder einen ostdeutschen. Und eine Mauer zum Einstürzen bringen sowieso nicht.

Nach den Regeln der Kunst zu sterben, will gelernt sein, liebes Rom.

Dein Karthago

Hallo Karthago,

auf das Sterben sind wir hier nicht gut zu sprechen, wofür auch? Ist ja nichts mehr da, auf keiner Bühne ein Dialog mit den Toten, und auch der Wutbürger hat sich wieder beruhigt, wenn er zweimal im Fernsehen war. »Deutschland muss sterben« singt auch keiner mehr, das heißt jetzt »Deutschland halt’s Maul«. Lieber still als tot.

Ja, vom Tod verstehen wir hier in Rom nichts, ein bürgerliches Trauerspiel ist das, wo keiner drin umkommt [wir waren ja mal Meister in dem Handwerk, haben jetzt aber anscheinend umgeschult]. Tod ist bei uns Heimarbeit und Privatsache, Ich-AG. Da redet man nicht drüber, nicht beim Wein, nicht auf der Bühne, und unter Freunden schon gar nicht, da verreckt jeder für sich selbst ein bisschen, jeden Tag. Das ist auch Arbeit. Und auf Friedhöfen lügen wir uns einen in die Tasche und trinken Tee.

Wir haben keine Revolutionäre als Denkmäler zum Anhimmeln, lieber Stelen Steine Beton drauf, eine dicke Platte, dann kommt auch keiner wieder, den wir nicht eingeladen haben. Das ist kein Theaterstoff, wir kennen uns aus mit Beerdigungskosten, Erbschaftsprozessen, Nachlassverwaltung; bei uns schreiben die Juristen die Stücke. Der Müller ist ja auch schon 15 Jahre rüber jetzt.

Nee, liebes Karthago, hier kann keiner mehr mit den Toten reden, und deine Revolutionäre betten sich mittlerweile auch mit Armanianzügen zur letzten Ruhe. Ich weiß nur, ich will nicht ganz alleine sterben. Woran oder wofür ist egal, aber wenn schon, dann lieber zusammen. Kriegen wir das hin?

Gruß von drüben,

Dein Rom



 
Alban Lefranc
Mein halbes Jahr: >Literatur<
Roberto Bolaño: 2666
 
Johannes von Weizsäcker
Mein halbes Jahr: >Musik<
Toro Y Moi – Best Coast – The Receeders – Nik Kershaw
 
Matthias Dell
Mein halbes Jahr: >Film<
Kinatay – Lola – Machete – Drei – Tod auf dem Hochsitz



UNHEIMLICH

 
»Reden wir über den Tod«
Alexander Kluge im Gespräch mit Christoph Schlingensief
 
Anna-Catharina Gebbers
Der Kampf um das Reale der Gegenwart
Zur Kunst Christoph Schlingensiefs
 
Veit Loers
Those Ghosts
Das Memento Mori der Gegenwart als Wiederkehr des Unheimlichen
 
Jens Balzer
Metaphysik 2.0
Tod und Transzendenz im Witch House
 
Thomas M. Bohn
Popstar oder Dorfmonster?
Vampirismus im Donau-Balkan-Raum
 
Ina Kerner
Leben im Kapitalismus: >Grabstein-Shopping<
 
Martin Saar
Bildpolitik: >Lebensgefahr<



SCHÖNHEITEN

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