Hallo Rom,
vom Tod versteht deine Demokratie nichts. Vom Theater noch weniger. Der Tod, ein ausgemusterter Soldat. Das Theater, eine lebensverlängernde Maßnahme im braven Bildungsbürgerleben. Theater und Tod sind kalkulierbare Größen in deiner kleinmütigen Marktwirtschaft. Aus beidem kann man Profit schlagen. Zack. Aus dem Theater in deinem Land ist nie eine Revolution hervorgegangen, geschweige denn aus deinen Kirchen. Von guten Mächten wunderbar geborgen, waren die bärtigen Bürgerrechtler der DDR im November 89. Und wenn sie nicht gestorben sind, sitzen sie noch heute im Bundestag. [Teddy hab sie selig.] Aber sag mal – ganz unter uns 20 Jahre nach dem Fall der Todesmauer – hast du schon mal ein Land untergehen sehen mit fliegenden Fahnen und hellen Kinderstimmen aus der Konserve? Ein leeres Land, das nur sich selbst noch gleicht. Den Dolch der Revolution im Nacken. Und keine Hand. [Jaja, das ist Müller.] Aus deiner liberalen Demokratensicht mag das gefährlicher Patriotismus sein. Für eine Idee zu sterben bereit, waren bei euch nur Bundeswehrsoldaten oder Terrorist_innen aus gutem Hause und der Studienstiftung. Großes Theater ist das! Sterben – sterben, nochmals sterben – [Das ist Lenin] muss man sich in deinem Land auch erst mal leisten können. Dein innerer Kapitalismus marodiert vor sich hin; eine abgetakelte Diva im Spiegelkabinett mit immer neuen Verjüngungstechniken und Schönheitsoperationen. Rom, auf die Toten kann man zählen. Auf die Idee ist die Feinmechanik deines Kapitalismus noch nicht gekommen. Wer tot ist, leistet nichts. Wer tot ist, kommt nie wieder. Und wer tot ist, hat nichts zu sagen im Kapitalismus. [Ihr seid doch eine Demokratie. Unsere Toten hatten Mitspracherecht. Auf die Toten hat man gehört. Sie sind uns in unseren Tag/Träumen erschienen und für uns gestorben. Frag Müller.] In deinem Land hausiert der Tod, der sich auszahlt. Ein Familien¬erbe ist immer drin, väterlicher- oder mütterlicherseits. Keinen Hund kann das hinterm Ofen hervorlocken. Nicht einmal einen toten oder einen ostdeutschen. Und eine Mauer zum Einstürzen bringen sowieso nicht.
Nach den Regeln der Kunst zu sterben, will gelernt sein, liebes Rom.
Dein Karthago
Hallo Karthago,
auf das Sterben sind wir hier nicht gut zu sprechen, wofür auch? Ist ja nichts mehr da, auf keiner Bühne ein Dialog mit den Toten, und auch der Wutbürger hat sich wieder beruhigt, wenn er zweimal im Fernsehen war. »Deutschland muss sterben« singt auch keiner mehr, das heißt jetzt »Deutschland halt’s Maul«. Lieber still als tot.
Ja, vom Tod verstehen wir hier in Rom nichts, ein bürgerliches Trauerspiel ist das, wo keiner drin umkommt [wir waren ja mal Meister in dem Handwerk, haben jetzt aber anscheinend umgeschult]. Tod ist bei uns Heimarbeit und Privatsache, Ich-AG. Da redet man nicht drüber, nicht beim Wein, nicht auf der Bühne, und unter Freunden schon gar nicht, da verreckt jeder für sich selbst ein bisschen, jeden Tag. Das ist auch Arbeit. Und auf Friedhöfen lügen wir uns einen in die Tasche und trinken Tee.
Wir haben keine Revolutionäre als Denkmäler zum Anhimmeln, lieber Stelen Steine Beton drauf, eine dicke Platte, dann kommt auch keiner wieder, den wir nicht eingeladen haben. Das ist kein Theaterstoff, wir kennen uns aus mit Beerdigungskosten, Erbschaftsprozessen, Nachlassverwaltung; bei uns schreiben die Juristen die Stücke. Der Müller ist ja auch schon 15 Jahre rüber jetzt.
Nee, liebes Karthago, hier kann keiner mehr mit den Toten reden, und deine Revolutionäre betten sich mittlerweile auch mit Armanianzügen zur letzten Ruhe. Ich weiß nur, ich will nicht ganz alleine sterben. Woran oder wofür ist egal, aber wenn schon, dann lieber zusammen. Kriegen wir das hin?
Gruß von drüben,
Dein Rom