»Ich will nicht mehr. Keine Tabletten mehr, keine Operationen, keine Schulwechsel. Ich will, dass alles bleibt, wie es ist«, fordert Alex (Inés Efron), fünfzehn und schwer pubertierend. Entgegen der gängigen medizinischen Praxis haben Alex’ Eltern sich dagegen entschieden, ihr Kind gleich nach der Geburt zahlreichen Operationen zu unterziehen. Alex ist intersexuell. Alex’ Vater, der Meeresbiologe Néstor Kraken (Ricardo Darín), fand sein Kind von Anfang an perfekt. Die Familie ist von Buenos Aires an die Küste Uruguays gezogen, um den negativen Reaktionen zu entfliehen. Doch auch hier ist Alex Anfeindungen und Ausgrenzungen ausgesetzt, bis hin zur brutalen sexuellen Nötigung ihrer Klassenkameraden.
Mit der Figur Alex greift die argentinische Regisseurin Lucía Puenzo Diskurse um den Konstruktionscharakter von Zweigeschlechtlichkeit und heterosexueller Matrix auf und konfrontiert sie mit einer konkreten Erfahrung – in einem konkreten Körper. Die leidige Frage, ob Geschlechterrollen und sexuelles Begehren entweder biologisch oder aber kulturell bedingt sind, erweist sich in »XXY« als nicht eindeutig beantwortbar.
Alex setzt die Hormone ab, die ihren Körper weiblicher machen sollen. Gleichzeitig hat ihre Mutter Suli (Valeria Bertucelli) einen befreundeten Chirurgen eingeladen, um sich über eine mögliche Operation zu beraten. Als Alex Àlvaro, den pubertierenden Sohn des Chirurgen, verführt und sich die beiden Teenies ineinander verlieben, geraten dominierende Vorstellungen von »richtigen« und »falschen« Körpern und Begehrensformen einmal mehr ins Wanken.
Den Zuschauern wird verweigert – durch medizinische Fakten oder Details über Alex’ Körper – in der passiven Position von Voyeuren zu verharren. Inés Efrons hinreißende, verletzlich-trotzige Darstellung der/des Alex zwingt vielmehr, zu reflektieren, welche Gewalt kulturelle Erwartungen, Zuschreibungen und Zuschneidungen von Geschlechter(rolle)n auf diejenigen ausüben, denen die Freiheit und das Recht, selbst zu wählen, wie und in welchem Körper sie leben möchten, bisher aberkannt wird.