Unser globales Ökologiesystem ist ein ebenso geschlossenes System wie die Zelle des white cube. Wie interagiert das »kulturelle« System Kunst mit dem »natürlichen« System des Klimas?
Da ist ein fast leerer Galerienraum, die geschlossene Zelle des white cube also, die sich gleichsam im jungfräulichen Zustand befindet. Doch dann betritt ein Besucher die Galerie und prompt beginnt eine metallene Kugel mit einem Durchmesser von 70 Zentimeter durch den Raum zu rollen. Angetrieben wird sie von einem eingebautem Motor, ausgelöst wird ihre Bewegung von einem Bewegungsmelder. Nicht gerade langsam durchkreuzt die ein wenig an einen Globus erinnernde Kugel den Raum, fährt schnurstracks auf eine Wand zu, kollidiert mit ihr und setzt wie eine Billardkugel ihre Reise fort. Und dies solange, wie sich jemand in der Galerie befindet. Durch den Kontakt der Kugel mit den Wänden beginnen diese langsam Schäden zu bekommen, Putz und Farbe fallen ab, Steckdosen und Leisten werden demoliert … Mit dieser Installation »360º Presence«, 2002, von Jeppe Hein ist dem dänischen Künstler eine prägnante Parabel auf die Klimakatastrophe gelungen, ist doch unser globales Ökologiesystem ebenso ein geschlossenes System wie die Zelle des white cubes, und hier wie da ist es der Mensch, der durch seine eigene Aktivität langsam aber sicher das System zum Absturz bringt. So belegen neue Daten des IPCC, dass die globale Erderwärmung, die durch den von uns produzierten CO2-Ausstoss hervorgerufen ist, schon in Kürze deutlich über 2 Grad liegen wird. Durch dieses hohe Maß an Erderwärmung wird der so genannte »unkontrollierbare Greenhouse-Effect« mit Sicherheit eintreten, wahrscheinlich ist er sogar schon eingetreten. Dennoch: Die real-existierende Politik reagiert immer noch nicht ernsthaft, der CO2-Ausstoß steigt global weiter und zunehmend. Und dies obwohl das Problem des CO2-Ausstoßes und die katastrophalen Folgen desselben seit 1972 (!) auf der offiziellen Tagesordnung der UN stehen. Profitinteressen unserer neoliberalen Wirtschaft – Stichwort: »Finanzkrise stoppt Klimaschutz« – werden stattdessen von der Politik weiterhin in zynischster Missachtung der jetzt schon absehbaren Folgen dieser Anti-Umweltpolitik als vorrangig behandelt.
Politik der Bilder
Die Welt als ein geschlossenes System wird dann auch in Tue Greenforts Installation »Plant Oil Circulation – After Hans Haacke 1969« (2007) vorgestellt. Schon auf dem ersten Blick erinnert diese Arbeit an Hans Haackes Werk »Circulation« (1969), denn auch dort liegen transparente Schläuche auf dem Boden, die zu einem verwirrenden, zusammenhängenden System vernetzt sind. Ausserdem werden in beiden Arbeiten Flüssigkeiten durch dieses Netzwerk geleitet. Doch genau hier beginnt der Unterschied zwischen den zwei Installationen: Pumpte Hans Haacke noch Wasser durch seine »Circulation«, so Tue Greenfort jetzt Pflanzenöl. Dieses Pflanzenöl sowie der Treibstofftank, aus dem es gepumpt wird, entstammen einem Bus, der in dem Projekt »Kostenfreie öffentliche Buslinie« (2005) des jungen dänischen Künstlers zum Einsatz kam. Während der Ausstellung »A Whiter Shade of Pale« (2005) hatte Greenfort nämlich zwischen zwei norddeutschen Kleinstädten eine Buslinie initiiert, auf der Fahrgäste kostenlos und überaus umweltfreundlich chauffiert wurden. So bringt Greenfort eine eigene, jüngere Arbeit und ein Stück moderne Kunstgeschichte zusammen und lässt es in einen spannungsreichen Dialog treten. Ging es Hans Haacke nämlich noch darum, ein minimalistisches, konkret funktionierendes Bild für die Gesellschaft als, frei nach Niklas Luhmann, »geschlossenes System« zu finden, so reflektiert Tue Greenfort diesen Gedanken mit – und weiter. Schließlich integriert er in dieses geschlossene System die Möglichkeit einer ökologischen Alternative. Und er bedenkt nicht nur das menschliche Gesellschaftssystem als geschlossenes, sondern die Welt als Ganzes. Eben dadurch befindet sich »Plant Oil Circulation – After Hans Haacke 1969« auf einem Reflexionsniveau, auf dem sich heute auch avancierte Umweltforschung theoretisch bewegt: Unser Ökosystem wird als vernetztes und in sich geschlossenes System Erde vorgestellt, in dem auch kleinste Veränderungen weit reichende Konsequenzen haben können.
Die Berliner Künstlerin Christine Würmell knüpft an Greenforts Arbeit insofern an, als auch sie Ökologie, Alltag und das Kunstsystem miteinander verknüpft, anders als Tue Greenfort aber legt sie dabei den Schwerpunkt auf die dort jeweils genutzten Zeichensysteme. Ein Beispiel hierfür ist ihre Collagenserie »Easy Rider « (2008). Zwei übereinander gehängte Collagen bilden da jeweils ein Paar, das, wie wir gleich sehen werden, quasi einen closed circuit bildet: auf der oberen Collage sind nämlich Werbeanzeigen für besonders viel Energie verbrauchende Geländewagen gezeigt, die »natürlich« in einer idyllischen Naturlandschaft fotografiert sind. Doch das beworbene Auto ist von der Künstlerin am Computer ausgeschnitten worden und stattdessen sind von ihr Texte, Statistiken und ähnliches einmontiert, die die Umweltschädlichkeit dieser »Monstercars« kritisieren. Die unteren Montagen zeigen den jeweiligen Autotyp, diesmal stehend im urbanen Raum. Wieder wurde das Auto aus dem Bild entfernt, jetzt ist an seine Stelle ein Stück Natur aus der Anzeige oben gesetzt. Kritische Dialektik und eine harmonierende Inkorporation gehen so Hand in Hand, politische Agitation erscheint inmitten affirmativer Werbeästhetik. Die Zeichensysteme von anpreisender Werbung, collagierender Kunst und kritischer Agitation werden dabei so ineinander verschachtelt, das fast schon ihre Austauschbarkeit deutlich wird. Bekanntlich hat noch der französische Philosoph Jacques Rancière in seinem Buch »Politik der Bilder« (2003) die »dialektische Montage« von der »symbolischen Montage« unterschieden. Stellte er doch fest, dass derzeit die »symbolische Montage«, die statt Gegensätzliches das Einheitliche betont, die vergleichsweise kritische und ambivalente Montage der Marke Martha Rosler abgelöst hat. Christine Würmell aber zeigt, dass es nötig ist, beide Formen der Montage zusammen zu denken. Im geschlossenen (Zeichen-)System unserer Welt bedingen und bedienen sie sich längst gegenseitig.
Powered by art
Allen drei Künstlern nun ist gemeinsam, dass sie die Klimakatastrophe nicht losgelöst denken von der Kunst und umgekehrt. Genau diesen Aspekt betont immer wieder die in Wien lebende Künstlerin Anna Meyer in ihrer Arbeit. Das sieht dann zum Beispiel so aus : Eine demolierte Häuserfassade ist dort auf der grellbunt bemalten Kunststoffbahne gemalt, vor dieser Ruine liegen ebenfalls deformierte Bretter, Fenster, Autoreifen … Ein typisches Szenario, das uns Westeuropäern inzwischen jeden Spätsommer auf den TV-Bildschirmen immer öfter entgegenflimmert: Die Schäden eines der dank globalen Klimawandels zunehmend heftiger und zahlreicher wütenden Tornados. Dazu ist auf der Plane zu lesen: »Powered by Gordon Matta-Clark«. Die künstlerische Arbeit des durch seine »Cuttings«, also seine Dekonstruktionen von Häuserwänden bekannt gewordenen US-amerikanischen Künstlers Gordon Matta-Clark und die zerstörerische Kraft der Tornados gerade in den USA werden so parallel geschaltet, und dies aus gutem schlechten Grund, ist doch unser Klima heute längst Menschenwerk, »zweite Natur«, wie Karl Marx es formulierte. Gleiches gilt selbstverständlich für die Kunst, also wird hier so provokativ wie einleuchtend beides reflektierend zusammengestellt. Die Kunst ist zudem nicht so unschuldig am Klimawandel, wie man vielleicht vorschnell denken mag. Hat doch der deutsche Philosoph Immanuel Kant die ästhetische Kategorie des »Erhabenen« bekanntlich definiert durch das Gefühl der »intelligiblen« Überlegenheit des Menschen über die Natur. Genau diese, bis heute weit verbreitet vorherrschende Hybris ist nicht zuletzt Ursache für die drohende Klimakatastrophe – diese ist also auch »powered, by art«.
Eine vergleichbare Parallelführung von Kunst und Klimawandel findet sich in Rirkrit Tiravanijas Arbeitsgruppe »untitled (less oil more courage)« (seit 2003). Erstmals wurde das im Titel genannte Statement auf der Venedig Biennale 2003 gezeigt, in Öl mit weißer Schrift auf schwarzem Grund. Damals, in dem Kontext dieser Großausstellung, schien die gemalte Arbeit ein klare Absage an den herrschenden Malerei-Hype zu sein. 2007 dann wurde das gleiche Statement anlässlich der 8. Sharjah Biennale gedruckt auf Plakaten, die an den Straßen des Arabischen Emirats installiert waren. Nun verschob sich der inhaltliche Focus, jetzt war »less oil more courage« eine deutliche Kritik an der Ölwirtschaft, und dies mitten in der »Höhle des Löwen«. Noch ein Jahr später zeigte der thailändische Künstler seine Arbeit in der Ausstellung »Moralische Fantasien – Kunst und Klima « im Kunstmuseum Thurgau. Jetzt ist der Satz auf zu kaufenden T-Shirts zu lesen, die eigene Identifikation mit diesem kritischen Statement tritt nun in den Vordergrund. Das T-Shirt gleichsam als zweite Haut betont diesen Vorgang so modegerecht wie subversiv.
Fegen vor der eigenen Tür
Das Moment des »Fegens vor der eigenen Tür«, des Reflektierens der (negativen) Involviertheit von Kunst und künstlerischer Aktivität in den Klimawandel erfordert nicht nur der, von mir nun schon oft ins Spiel gebrachte, Aspekt des vernetzten und in sich geschlossenen Systems Erde, vielmehr macht erst dieses selbstkritische Agieren jedwede Kunst zum Thema Klimawandel glaubwürdig und überzeugend. Als ein letztes Beispiel hierfür sei Dan Petermans Projekt »My Sky« (2007), beschrieben. Zwei überdimensionierte Flugtickets hängen da von der Decke des Ausstellungsraumes, genauer: Tickets eines Fluges von Chicago nach London und zurück, den der Künstlers kurz zuvor selbst gemacht hat. Entsprechend dieser Flüge hat dann Dan Peterman, der bereits seit den späten 80er Jahren von Chicago aus seine ökologischen Projekte verfolgt, zum Beispiel seine aus recyceltem Kunststoff hergestellten minimalistischen Möbel, schuldbewusst seinen eigenen carbon footprint ausgerechnet. Eine zweite Stufe von »My Sky« sieht dann vor, genauso viele Bäume anzupflanzen, wie man braucht, um den errechneten carbon footprint Petermans wieder auszugleichen. Der Kreis schließt sich, die kritische Selbstanklage mündet in produktive Aktivität. Gut so!