Wächter der Wüste – Sollbruchstelle – Sieben Leben
Wozu braucht der Mensch heute Tiere? Diese Frage stellt sich, spätestens seit der Film Unsere Erde Millionen Menschen ins Kino gelockt hat. Was da zu sehen ist, dient einer falschen Erbauung: Der Mensch erfreut sich an einer – Suspense – bedrohten Vielfalt, und ist doch zugleich Grund der Bedrohung. Der Naturfilm profitiert von genau dieser Janusköpfigkeit, da er auf dem Ticket prekärer Ökologie in schillernden Tier- und Pflanzenwelten schwelgt und, indem er den Menschen kategorisch ausblendet, die Umstände des Prekären verschweigt.
Die Eingangsfrage könnte dadurch aber immerhin ästhetisch beantwortet werden, wenn nicht James Honeybornes Film Wächter der Wüste diese Antwort ad absurdum führen würde. Seine Beobachtung unter Erdmännchen in der Kalahari-Wüste braucht die Tiere nämlich gerade nicht, so sehr sind sie, vom Protagonisten namens Kolo bis hin zu den Nebendarstellern (Löwe, Schlange, Adler), vermenschlicht und inszeniert. Die Aufnahmen aus dem Erdmännchenbau erinnern nicht zufällig an Laboranordnungen, in denen man Versuche mit Tieren vollzieht, und die Art und Weise, wie die Geschichte zu ihrer Dramatik findet, könnte im Animationsfilm unserer Tage vermutlich noch besser programmiert werden.
Tiere sind also Erinnerungen an eine Zeit, die lange vorbei ist. Als solche erscheinen sie albtraumhaft in Eva Stotzens herausragendem dokumentarischem Essay Sollbruch¬stelle. Der Film handelt auf bedrückende triftige Weise von der heutigen Arbeitswelt, der er einen weiten Resonanzraum aus Assoziationen schafft. Unter anderem handelt der Film vom Schicksal des Vaters der Regisseurin, der gegen das Mobbing in der Firma, deren langjähriger Mitarbeiter er war, rebelliert bis zur psychischen Zerstörung. Vom Fenster seines Büros beobachtet er eine archaische Szene, die sich nur allmählich als schlechter Traum entlarvt und das poetische Zentrum von Sollbruchstelle bildet: Eine Schafherde mit wenig stolzen »Dorfschäfern«, die eine Brücke erklimmen; ein verletztes Schaf bleibt zurück, wird eingesammelt von einem weiteren, klumpfüßigen Schäfer im Ford Granada. Eva Stotz hat diese Geschichte ihres Vaters, die seine Geschichte ist, als Kindergeschichte Erstklässlern erzählt, die in der Schule eine philosophische Erziehung genießen. Der Streit der Kleinen geht über die Schuld, ob die nun Schaf oder Schäfer trägt, ehe ein Junge salomonisch und beunruhigend fragt: »Was wird aus dem Schaf, wenn in der Natur kein Schäfer da ist?«
Die Menschen, auch das Zeichen ihrer Überlegenheit, haben Gott. Als dessen folgsamster Sohn erweist sich, wieder einmal, Will Smith, der wohl physischste Schauspieler, den Hollywood uns derzeit präsentiert. Nach Das Streben nach Glück hat Smith in Sieben Leben das zweite Mal mit Gabriele Muccino zusammengearbeitet, der sich auf ungeheuerliche Weise auf die theologisch verkitschte Variante des Sozialdramas versteht. In Sieben Leben negiert Smith seine Körperlichkeit nun konsequent, indem er seinen Körper aus Schuldgefühlen selbst abschafft. Als lebensfroher Elite-Ingenieur hat er bei einem Auto-Unfall aus Unachtsamkeit den Tod von sieben Menschen verursacht; seitdem arbeitet er an einer Bilanz, bei der am Ende die schwarze Null wieder stehen muss. Einer äußerst heterogenen Gruppe von Benachteiligten schenkt er Besitz, Sachverstand und Herz, wobei vor allem letzteres als äußerste Engführung jener Dialektik inszeniert ist, die oben genannte Naturfilme ignorieren. Die Frau, mit der er wieder glücklich werden könnte, kann der Lebensspender nur retten, in dem das Herz in seiner Brust zu schlagen aufhört, damit es in der ihren fortan seinen Dienst verrichten kann. In dieser Form der Selbstabschaffung öffnet sich schließlich eine Perspektive, die ökonomisch und ökologisch sinnvoll erscheint, weil sie die kühle Diagnose des Menschenfreundes Heiner Müller beim Wort nimmt: »Ich schulde der Welt einen Toten.« Würde dieses Beispiel Schule machen, wer weiß, vielleicht könnten eines Tages die Tiere in friedlich-darwinistischer Vielfalt zurückkehren. Und mit ihnen nur Tom Jones, wie wir seit Tim Burtons Mars Attacks wissen.
Wächter der Wüste. GB/USA 2008. 83 Min. Regie: James Honeyborne.
Sollbruchstelle. D 2008.61 Min. Regie: Eva Stotz.
Sieben Leben. USA 2008. 123 Min. Regie Gabriele Muccino.