Die Leistungsträgerrede läuft an den relevanten aktuellen Problemen weit vorbei. Nicht annähernd verdient sie das Gewicht, das ihre Anhänger ihr zumessen. Auch deren materielle Ansprüche kann sie nicht erfolgreich begründen. Dennoch ist die Frage leistungsgerechter Verteilung ernst zu nehmen. Dann wendet sich ein Diskurs, der Transferempfänger treffen will, schnell gegen die leistungslose Wert-Aneignung durch Oberschichten.
Je trüber und verbrauchter die Leistungsträgerleier klingt, desto schriller und trotziger tragen ihre Anhänger in Politik und Provokationsfeuilleton sie vor. Trotz aller Banalität und Borniertheit stellt doch der Anspruch einer neuen »Leistungsgerechtigkeit« neben der Beschwörung zukünftigen Wirtschaftswachstums das einzige entfernt an eine Idee erinnernde Leitmotiv der neuen Regierung dar. Obwohl es sich angeblich schon lange nicht mehr lohnt, hat das angesprochene Milieu aus kleinen und großen Besitzbürgern, Wirtschaftselite, Unternehmern und umherschweifenden Steuerrebellen jahrelang geackert, bisher offenbar aus reinem Pflichtbewusstsein. Dankbar lässt man sich einordnen in die Schufterschicht derer, »die den Karren ziehen«. Bislang ausgebeutet von den Faulen und Frivolen klagt man nun mit Opferstolz das »Muss sich wieder lohnen« ein. Zwar spricht alles dafür, dass das Wohlstandswachstum bei den Fordernden auch in den letzten Jahrzehnten beachtlich war. Dennoch ist die Leistungsträgerideologie und -identität immer noch erstaunlich erfolgreich, wohl auch weil der umschmeichelte und zu belohnende Leisterkreis je nach Publikum effektvoll angepasst werden kann.
Version Superreich und der Proportionalitätsfehler
Über die Variante, in der die Rolle der Karrenzieher von Managern und Finanzaristokratie besetzt wird, sind in den späten Nullerjahren genügend kritische Worte verloren worden. Die sind zwar nicht in schlussfolgernde Gesetzestexte eingeflossen, doch den Lohn der Unternehmenslenker, Risikoingenieure und Anteilseigner als irgendwie leistungsgerecht zu verteidigen, das traut sich kaum mehr jemand. Zu offensichtlich fehlt ein Zusammenhang zwischen der grotesk überproportionalen finanziellen Ausstattung dieser Klasse und irgendeiner Art von messbarer Leistung für einen wie auch immer gearteten gesellschaftlichen »Karren«. Der märchenhafte Reichtum, der in den letzten Jahrzehnten in der dünnen Oberschicht angelaufen ist, sauber und irreversibel abgekoppelt von den ständischen Niederungen kleinbürgerlicher Vergleichsscharmützel, könnte nach allen plausiblen Methoden des Vergleiches zwischen »Beiträgen« in einer arbeitsteiligen Gesellschaft nur mit sagenhaften, ja gottgleichen »Leistungen« gerechtfertigt werden, die bei den meisten Betroffenen entweder unauffindbar oder kaum ihnen persönlich zurechenbar sind.
Dennoch, wenn die Geldelite sich bequemt, am Legitimitätsdiskurs überhaupt teilzunehmen, – was sie nach den realen Machtverhältnissen ganz und gar nicht nötig hat, genügt doch die kurz angedeutete Drohung, Kapital ins Ausland abzuziehen um jegliche politische Initiative zur Korrektur überproportionaler Aneignung wirksam zu ersticken – dann euphemisiert sie sich gelegentlich zur Leistungsträgerschicht. Die Leistung soll in der Steuerung finanziellen und wirtschaftlichen Geschehens bestehen und ihre sehr weitgehende – und die der Politik bei weitem übersteigende – Macht und Belohnung rechtfertigen. Scheitert die Suche nach der gesamtgesellschaftlichen Nutzen ihrer Tätigkeit stört das aber auch nicht wirklich, denn die vorherrschende Legitimationsfigur im Leistungslager ist tautologisch. Leistung wird nicht außerhalb des Markterfolges und der erreichten Stellung aufgesucht, sie besteht darin. Leistung ist Markterfolg ist Geld ist Macht ist Leistung und so fort.
Spätestens wenn die Rede auf die Söhne und Töchter des »bürgerlichen Lagers« und ihre oft erheblichen Erbschaften kommt, wird die Legitimation von Besitz über Leistungsträgerei stillschweigend geräumt und so mühe- wie zusammenhanglos auf einen kruden Freiheitsbegriff und Angriff gegen Sozialismus umgeschaltet. Wohlwollende Prüfung stößt in solchen Tönen auf eine implizit mitgemeinte, nicht meritokratische sondern funktionale Rechtfertigung der gegebenen Markt- und Eigentumsverhältnisse: Greed is Good! Es geht dann nicht mehr um angemessenen Leistungslohn sondern um höheren Gesamtoutput des Systems, das zu diesem Zweck »Anreize« in Form von Fantastilliarden-Portfolios zulässt und auch bei den Ärmsten dann schließlich – »pareto-optimal« – was runter »tricklen« lässt. Das Kriterium individueller Leistungszurechnung vergisst der nun funktionalistisch argumentierende Wealth-Manager mit hellsichtiger Urteilskraft schnell, denn Leistungsgerechtigkeit wendet sich rasch gegen die heutigen Eigentumsverhältnisse.
Version »Bürgertum«, hartnäckig trotz Zurechnungsfehler
Lebendiger sind Varianten des Leistungsträgerslogans, die nicht nur die obere Besitzelite meinen, sondern etwa den zur Bescheidenheit herunter benannten »Mittelstand« – Unternehmen mit Jahresumsatz von immerhin bis 50 Millionen Euro und mit immerhin bis 500 Beschäftigten, wobei letzteren erst ab bestimmter Hierarchieebene der Leistungsträgertitel zugestanden wird – oder das »Bürgertum« des »bürgerlichen Lagers«, sprich Kapitalbesitzer, Unternehmer, prosperierende Freiberufler, allenfalls noch leitende Angestellte, kaum aber Arbeitnehmer ohne Immobilieneigentum. In der inklusivsten Version ist von »denen, die arbeiten« die Rede, womit das Leistungsträgerlied sich als Schlachtgesang gegen Arbeitslose entpuppt, wie jüngst wieder einmal lautstark angestimmt. An leistungsgerechter Verteilung in arbeitsteiliger Gesellschaft ist diese Version natürlich gründlich desinteressiert. Die harte Politikagenda der Leistungsredner läuft selten auf die Verbesserung der Masse Angestellter oder prekär Arbeitender hinaus, deren Leistung ihnen bekanntlich keinen Mindestlohn wert ist.
Welcher dieser rhetorisch-taktisch erweiterbaren Leisterzirkel aber auch gemeint ist, der Kardinalfehler bleibt: Die Initialverteilung des Marktes vor Steuern und Abgaben wird als angemessene Artikulation gesellschaftlicher Leistung akzeptiert. Nur die libertaristische Prämisse lässt den Scheingegensatz zwischen Leistungs- und Verteilungsgerechtigkeit entstehen, nur sie macht Steuern und Beiträge zur Verzerrung eines gerechten Abbildes geleisteter Beiträge durch »Um«-Verteilung oder gleich – sloterdesk – zum Diebstahl. Die monetäre Marktverteilung hat aber mit leistungsgerechter Verteilung wirtschaftlichen Outputs nicht das Geringste zu tun, kommt sie doch per Macht, Zufall und die Anarchien des Marktgeschehens zustande. Die Lohnwillkür des Marktes zeigt sich in Umfragen, öffentlicher Debatte und kulturellen Artikulationen im Grunde auch als allgemein bekannt. Dennoch bleiben die Leistungsbotschaft von Kontoeingängen und das Diebstahlsimage von Steuerbescheiden ungeheuer suggestiv.
Die Versuchung, sich auch bei bescheiden einsetzenden Berufs- und Einkommenserfolgen schnell selbst unter die Leistungsträger zu zählen, ist groß. Durch die kleinbürgerliche Illusion und den Narzissmus der Selbstzurechnung eigener Produktionen und Fähigkeiten als »Leistung« unter konsequenter Absehung von Glück, günstigen Umständen, staatlicher Infrastruktur, familiären und freundschaftlichen Vorteilen sind die Angehörigen der Mittelschicht tief in den Leistungsträgerdünkel verstrickt. Daher regt sich gegen die grandios ungleiche und ganz und gar leistungsungerechte Verteilung materiellen Eigentums und Einkommens in Deutschland auch kaum Widerstand. Das allerhöchste, zu dem sich etwa die linken Parteien durchringen sind Mindestlohnforderungen, milde Erhöhungen staatlicher Transferleistungen und sporadisch mit dünner Stimme vorgetragene Überlegungen zur eventuellen Prüfung der Möglichkeit, Vermögen mal wieder ein wenig zu besteuern.
Regeln Ändern: Leistungsgerechte Verteilung vor »Um«-Verteilung
Wem man wegnimmt, was er schon mal hatte, der fühlt sich beklaut. Verteilungspolitik, die sich auf Umverteilung beschränkt, hat die suggestive Normativ-Kraft der faktischen Erstbelohnung als schwer abweisbare Intuition gegen sich. Herstellung von Leistungsgerechtigkeit muss früher und umfassender ansetzen, bei Tarifpolitik und Unternehmenseigentum, Gewinnverteilung und Gehaltshierarchie. Wem gehört ein Unternehmen? Wie viel vom gemeinsam Erwirtschafteten verdienen Eigentümer, Kapitaleigner, mittleres und leitendes Management, Sanierungsberater? Leistungsgerechtigkeit betrifft die Regeln des arbeitsteiligen Wirtschaftsgeschehens, des betriebs- und volkswirtschaftlichen Spiels insgesamt, nicht erst die Nachjustierung durch Um-Verteilung. Wer Regeln von Lohn, Gewinn und Eigentum akzeptiert, die im Ergebnis wenige Groß-Gewinner, einige Abgespeiste und immer mehr Verlierer hervorbringen, und die in diesem Spiel überlegenen Gewinner empört anklagt, darf sich über Ressentiment-Vorwürfe nicht wundern. Der Sieger hat doch am meisten geleistet und verdient doch wohl auch die Trophäen und Prämien? Gegen die Plausibilität des faktischen Resultates und den Glanz der Siegerleistung wirkt der Verliererprotest kläglich.
Auf wenig mehr als die Heul-Doch-Häme der Gewinner gegenüber den Verlierern des faktischen Marktspieles liefen die den Wahlsieg von Schwarz-Gelb flankierenden – deren Rhetorik und Ideologie allerdings noch einmal drastisch übersteigernden – rechten Feuilletontexte der letzten Saison hinaus (also Sloterdijk, Bohrer, Bolz et al). Wer gewinnt, hat geleistet, wer klagt, ist schlechter Verlierer. »Opfer!« Wer durch Steuern korrigiert ist gewalttätig. »Dieb!« Die sozialmoralische Regression in den notdürftig sublimierten Texten war beachtlich. Doch die Klagepose gegen den Erfolgreichen, der mechanische Vorwurf der sozialen Kälte, das ewige Geißeln der »Besserverdienenden« sind kaum weniger schal als der Leistungsträgerdiskurs und fordern die hämische Reaktion geradezu heraus. Das öde Spiel der rechten Provokateure und die linken Empörungsrituale gehören zusammen. Denn auch die linken Parteien und Organisationen akzeptieren das Spiel und stellen die Regeln des Besserverdienstes selbst kaum mehr infrage.
Das zeigt sich auch an der Fokussierung ihrer Politikagenda auf Chancengleichheit. Zugunsten der Konzentration auf das Bildungsthema wird auf eine Agenda gerechter Verteilung gemeinsamer Wirtschaftsproduktion verzichtet. Alle sollen bloß am Anfang des Rennens die gleiche Ausstattung haben. Auch Chancengleichheit sagt aber nichts über den Charakter des bevorstehenden Rennens aus. Können nur wenige gewinnen, nutzt die Chancengleichheit vom Start den unter ferner Gelaufenen am Ziel auch nichts mehr. Wenn leitende Angestellte und Kapitaleigner einen Großteil des Erwirtschafteten für sich beanspruchen und bei guter Gelegenheit das ganze Projekt einfach Top-Down aufkündigen, stehen auch blendend ausgebildete Mitarbeiter rat- und lohnlos da. Die Beschränkung auf Bildung hat bei den linken Parteien taktische Gründe, denn während Verteilungsvorstöße sofortigen Gegenwind ernten, wagt es niemand, offen gegen gleiche Bildungschancen zu argumentieren. Das zeigt mindestens den Fatalismus, wenn nicht das Einverständnis der großen Mehrheit mit den Eigentums- und Verteilungsverhältnissen.
Losertaktik gegen Leistungsträger: Verzicht auf Leistung oder Gegen-Leistung
Die Regeln von Produktion, Gewinn und Eigentum zu verändern ist allerdings so langfristig wie derzeit aussichtslos. Im Hier und Jetzt können Loser dem Leistungsträgergetrommel im Prinzip zweierlei entgegensetzen: Das Leistungsprinzip verabschieden oder eine alternative Leistungshierarchie behaupten.
Gegen das Prinzip individueller Leistungszurechnung wird vieles ins Feld geführt: die Unmöglichkeit objektiver Leistungsmessung, Glück und Zufall der Leistungsfähigkeit, kommunistische Ethik kollektiver Lebensweise, ästhetisch-aristokratische Ethik der Verschwendung. Alle Varianten haben gemeinsam, dass sie sich derzeit politisch nicht in relevanter Stärke artikulieren, in den moralischen Intuitionen der Allermeisten keinen Rückhalt finden und daher kaum praktiziert werden. Das gilt auch in subkulturellen Milieus mit propagiertem anti-individualistischem Ethos. Leistungswettbewerb wird in dort praktizierten Anerkennungssystemen oft umso drastischer gelebt, das individuelle Zurechnungsprinzip regiert auch weitgehend die kulturelle Produktion. Künstlerindividuen und Zurechnung per Eigennamen beherrschen Kunstmarkt und Biennalenwesen, Publikationslisten und Zitierkartelle die Akademie, Copyright und Distinktionskämpfe die Popkultur. Anerkennungsstreits über Urheberschaft und Zurechnungskonflikte über Konzeptions- wie Kreativitätsleistung sind alltäglich.
Eine Idee von Verteilungsgerechtigkeit ohne meritokratische Dimension und mit vollständiger Abkoppelung gesellschaftlichen Erfolgs, Prestiges, Lohns von individueller Beitragsbewertung ist wohl auch schwer vorstellbar. So ist es unter Verlierern auch weit üblicher, gegen die Marktleister eine andere, »wahre« Leistungshierarchie zu etablieren, die besser als die faktische monetäre Schichtung Beiträge zum Großen und Ganzen darstellt. In Wirklichkeit, so heißt es dann, ziehen doch ganz andere »den Karren«, der sozial Engagierte, der unterbezahlte Lehrer, der hart arbeitende Angestellte, der kritische Autor. Die rhetorische Gegenwehr kann sich entweder mit dem Hinweis auf ein nicht-monetäres Anerkennungssystem begnügen und das Leistungsträgergeheul damit zumindest ethisch abservieren. Oder sie geht den entscheidenden Schritt weiter und fordert eine Verteilungsgerechtigkeit, die an der »wahren Leistung« orientiert ist: Die Krankenschwester besser bezahlen, die Finanzmanager schlechter; Erzieher besser, Fußballer schlechter; Arbeitnehmer besser, Aktionäre schlechter.
Wer gegen die vor wie nach der Krise stark finanzfeudalistischen Züge gegenwärtiger Eigentumsverhältnisse noch in verzweifelter Vergeblichkeit öffentlich anreden will, der sollte mindestens taktisch an die verbreiteten Intuitionen über wahren Verdienst anknüpfen. Zurechnung und Belohnung von Leistung sollten ernst genommen und politisch verhandelt werden. Es mag keine »objektive« Leistungsskala geben, wohl aber Plausibilitäten und offensichtlich unangemessene Proportionen. Man kann deliberativ zu Ergebnissen kommen, die der empörenden Willkür und Leistungsungerechtigkeit des Marktes überlegen sind. Natürlich geschieht das in gewissem Masse schon immer in alltäglich stattfindender Politik: Tarifverhandlungen, Modelle der Mitarbeiterbeteiligung, Besteuerung entnommener versus reinvestierter Gewinne, Kontrolle von Managergehältern, das alles sind auch Themen gerechter Leistungsbelohnung. Bloß haben sich die Machtverhältnisse in den entsprechenden Verhandlungen zugunsten minderleistender Inhaber finanzieller Machtmittel verschoben. Und ein achselzuckender Fatalismus bremst die Infragestellung der Spielregeln von Lohn, Gewinn und Eigentum. Solange sich das nicht ändert, wird Leistung nicht gerecht belohnt.