Seit der Finanzkrise 2008 weitet sich die Skepsis am neoliberalen Wirtschaftsmodell aus. Trump und seine populistischen Mitstreiter sind Symptome eines tiefen Misstrauens gegenüber Politik und Wirtschaft. Neben der Gefahr liegt hier eine echte Chance, soziale Grundstrukturen zu überdenken. Um das angebrochene Anthropozän mit Klimawandel, Überbevölkerung und sozio-ökonomischen Konflikten (über-)lebbar zu gestalten, brauchen wir Utopien. Allerdings müssen Utopien umsetzbar sein. Und sollen weder revolutionäres Chaos noch totalitäre Regime auslösen. There are thousands of alternatives. TATA. Aber welche taugen zum demokratischen Alltag?
In der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts wurden in Wissenschaft und Politik hart aber offen zwei konkurrierende Wege der Wirtschaftspolitik diskutiert: freier Markt oder staatliche Wirtschaftslenkung. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks wurde die Marktwirtschaft mit Demokratie zur gesellschaftlichen Idealform erklärt. Die absurde These vom Ende der Geschichte dokumentiert anschaulich ein westliches Lebensgefühls der Jahrtausendwende. Die neoliberale Ideologie soufflierte: There is no alternative. TINA. Freier Markt macht Gesellschaften frei, produktiv und wohlhabend. Thatcher und Reagan prägten den Glaubenssatz. Aber auch Bush, Clinton und Trump erzählten davon Ihre Version, ebenso wie Kohl, Schröder und Merkel.
Das Ende der Geschichte wurde inzwischen wieder abgesagt. Klimawandel, Armut, Überschuldung offenbaren weltweit, dass Marktkräfte keine nachhaltige Ordnung errichten. Aber TINA wirkt noch immer. Die scheinbare harte Systementscheidung zwischen Kapitalismus und Kommunismus spukt in vielen Köpfen herum und beschränkt politische wie ökonomische Diskurse. Dabei markieren wirtschaftlicher Liberalismus und Sozialismus nur die Pole Markt und Staat in einer fließenden Skala von Systemvarianten. Als Reinformen sind beide undemokratisch, aber existieren so auch gar nicht. Selbst extremer Laissez-faire-Kapitalismus bedarf staatlich garantierter Eigentums- und Vertragsrechte. Jede Ökonomie ist rechtlich konstruiert, bewusst gestaltet und gestaltbar.
Die Globalisierungskritiker rufen zu Recht: TATA! Eine andere Welt ist möglich. Richtig! Es gibt kein überirdisches oder evolutionäres Gesetz einer bestimmten kapitalistischen Form menschlichen Zusammenlebens. Schon jetzt gibt es zahlreiche Varianten des Kapitalismus ebenso wie verschiedenste Formen staatlicher Lenkung und Wohlfahrt. Viele Welten sind möglich zwischen libertär und sozialistisch. Sie müssen nur konkret erdacht werden und umsetzbar sein. Und nicht alle denkbaren Welten sind wünschenswert. Der einzige normative Fixpunkt und Garant des friedlichen Wechsels zwischen den Möglichkeiten bleibt ein demokratisches Verfahren. Gesucht werden realistische demokratische Utopien. [...]