Das Online-Magazin zur Zeitschrift | HALBJAHRESMAGAZIN polar






polar #23: Ende und Anfang




EDITORIAL

 
Liebe Leserin, Lieber Leser


ENDE

 
Mark Fisher
»Zeit gibt es hier keine, jetzt nicht mehr.«
 
Lukas Zidella
Kontinuität und Wandel
Vom Ende des Endes der Geschichte
 
Stefan Willer
Verhinderte Zukunft
Sicherheit, Prävention, Imagination
 
Paula Diehl
News for the Masses
Massenmedien, Populismus, Rechtspopulismus
 
Thomas Schramme
Ende des Lebens
Die vertraute und völlig unbekannte Befassung mit dem Tod
 
Frederik R. Heinz
Das Ende der »politischen« Kunst
Warum uns die Kunst nicht retten kann
 
 

Interview Soh Bejeng Ndikung

»Privilegien verlernen«


Bonaventure Soh Bejeng Ndikung hat als Gründer von SAVVY Contemporary,  Kurator, künstlerischer Leiter und Berater an zahlreichen renommierten internationalen Ausstellungen mitgewirkt und deren Diskurs geprägt. Als Curator  at Large der documenta 14, die derzeit in Kassel und Athen stattfindet, stellt Bonaventure Soh Bejeng Ndikung etablierte Gewissheiten in Frage und ruft dazu auf, Privilegien zur Disposition zu stellen. Grund genug, im Interview nachzuhaken.

polar: In dieser Ausgabe von polar geht es um Krisen, Enden und Neuanfänge. Welche alten Gewissheiten stellt die documenta 14 in Frage, bei der Du als Kurator beteiligt bist?
Ndikung: Ich glaube die klassischen Gewissheiten, die wir herausfordern und in Frage stellen wollen sind die der sogenannten Normen, die von Menschen, die Macht haben, kreiert worden sind. Man muss schon die Fiktion der Normativität in Frage stellen können. Wenn es zum Beispiel um das Machtgefälle zwischen Griechenland und Deutschland geht, wirtschaftlich aber auch kulturell, muss man die Frage stellen, woher man spricht, und was man überhaupt sagt.
 
polar: Deswegen findet die documenta dieses Mal in Kassel und in Athen statt.
Ndikung: Nicht nur deshalb, aber unter anderem ja, deshalb Kassel und Athen. Athen verkörpert schon den Mythus einer westlichen Zivilisation und mit seiner Geschichte, Kultur, Philosophie etc. ist Athen schon immer ein spannender Ort  gewesen. Aber in dieser Konstellation Kassel-Athen, steht Athen auch für ein anderes Ende eines wirtschaftlichen, politischen und sozialen Machtgradienten. Diese Konstellation ist auch symbolisch für alle Beziehungen, wo es diese Machtstrukturen gibt. Es könnte auch für die Beziehung zwischen Frankreich und Kamerun stehen. Die Gewissheit, die wir hier herausfordern wollen, ist dass man in Bezug auf Frankreich und Kamerun eigentlich denken würde, dass Kamerun auf der untelegenen Seite des Machtverhältnisses steht. Aber in Wahrheit ist es andersherum, weil der eine den jeweils anderen sehr stark braucht. In meiner Eröffnungsrede zur documenta in Kassel habe ich von »Uncertainty«, von Verunsicherung und Unsicherheit, gesprochen, die als »Certainty« performed wird. Darunter verbirgt sich Unwissenheit, ein Mangel an Wissen über den Anderen, das aber als Wissen dargestellt wird. Ich habe für mehr »Uncertainty« anstatt »Certainty« plädiert. Wenn wir uns nicht kennen, müssen wir uns die Zeit nehmen, uns kennen zu lernen, anstatt voreilige Schlüsse zu ziehen. Genau so viel Zeit müssen wir alle uns auch nehmen, um unsere gemeinsamen Kolonialgeschichten zu verstehen und überhaupt unsere Gegenwart verstehen zu können. Das ist ein wichtiger Prozess.
 
polar: Kannst Du ein paar Beispiele nennen, wie Künstler das bei der documenta – aber auch im Kontext des von Dir betriebenen Kunstraums SAVVY Contemporary, wo ja ein ähnliches Motto herrscht – machen?
Ndikung: Es gibt etliche Beispiele, aber ich werde versuchen einige wenige zu erwähnen. Im Film »Lost and Found« von Susan Hiller geht es um verlorene Sprachen, und man fragt sich, wieso viel Sprachen der Welt sterben. Das liegt oft daran, dass sie nicht gesprochen werden. In Kamerun zum Beispiel sind Französisch und Englisch Amtssprachen, die anderen Sprachen darf man im Schul­system nicht benutzen. Das ist natürlich auch ein Nachlass oder Echo eines kolonialen Systems. Ein anderes Beispiel ist der Film »Atlas fractured« von Theo Eshetu. Der Ausgangspunkt von seiner Arbeit ist ein Banner des Ethnologischen Museum Berlin, auf dem man Gesichter, Masken, sieht, die die Welt repräsentieren. Er hat diesen Banner genommen und mit der Projektion gespielt. Wie wird der ›Andere‹ konstruiert? Im Film gibt es eine Soundscape von unterschiedlichen Reden, von James Baldwin, Andy Warhol, Hannah Arendt, von Maya Angelou, und letzten Endes geht es um die Unterschiede, die kreiert werden, um den anderen zum Anderen zu machen.
 
polar: Das Motto der documenta ist einerseits »von Athen lernen«, aber auch, »vom Süden lernen«. Du hast den Universalanspruch westlicher Moderne angesprochen. Der Kunstraum SAVVY Contemporary hat sich schon lange dem Prinzip des Dialogs zwischen »westlicher« und »nicht-westlicher« Kunst verschrieben. Was glaubst Du ist in dieser Hinsicht der Effekt der documenta?
Ndikung: Lernen ist ja nicht so einfach. Wir müssen von einander lernen. Der Westen vom nicht-Westen und vice versa. Um richtig zu lernen muss man vielleicht auch einiges verlernen. Und Du hast Recht, dass wir in dieser Hinsicht schon viele Sachen bei SAVVY Contemporary machen, die wir auch bei der documenta behandeln – über Performances, Ausstellungen, Diskursprogramme, aber natürlich auf eine Mikroebene. Wenn es um Machtkategorien geht, behauptet meist derjenige, der die Macht hat, dass er auch das Wissen hat. Und diese Idee, Dein Wissen überall in der Welt verteilen zu wollen ist meiner Meinung nach eine sehr perverse. Es gibt eine Kontinuität von diesen Machtmechanismen. In diesem Sinn will ich auch das Konzept der »Coloniality of Power« von Aníbal Quijano verstehen: dass das Aufoktroyieren von Wissen immer noch besteht. Das Verlernen fängt damit an, das erst mal wahrzunehmen, zu akzeptieren, und Platz zu schaffen für Epistemologien aus anderen Teilen der Welt und letzten Endes Alternativen vorschlagen. Bei SAVVY Contemporary machen wir das über unterschiedliche Wege. Vor kurzem haben wir ein Projekt gemacht das hieß »De-Canonization as Method.« Wir stellen den Kanon in Frage und wollen ihn elastischer und porös machen. Deshalb ist die Ausstellung sehr stark kritisiert worden, unter anderem weil viele Leute im Westen denken, dass ihnen der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Das ist aber auch gut so. Man muss diese Fragen stellen und die Leute zwingen, aus ihrer Komfortzone rauszugehen. [...]


 
Susann Neuenfeldt / Simon Strick
>OST<
Chris Cornell – Jonathan Demme – Jaki Liebezeit – George Romero – Clyde Stubblefield



ANFANG

 
Bertram Lomfeld
TATA!
Demokratische Utopien politischer Ă–konomie
 
Felix Heidenreich
Das Recht auf Hoffnung
und die Umverteilung des Optimismus
 
Peter Siller / Bertram Lomfeld
Ist es links? >Optimismus<
 
Ulrike Meyer
Eine neue europäische Identität?
Die Krise als Chance begreifen
 
Stefan Solleder
Wann fängt ein Anfang an?
Fluch und Segen von Zeitabschnitten in den Sozialwissenschaften
 
Dietmar Dath
D=B=K
Digitale Spuren aus „Venus siegt“



MEIN HALBES JAHR

 
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Mein halbes Jahr: ›Comic‹
100 Manga Artists – 75 Jahre DC Comics – Black Panther – Chrononauts – Corto Maltese – Essai – Geisel – Die Zeitmaschine – Ich habe … getötet – La Casa – Little Nemo – Martha & Alan – Melvile – New York – Old Man Logan – Paper Girls – Patience – Rach
 
Matthias Dell
Mein halbes Jahr: ›Film‹
Oh happy Day – Fargo – In Zeiten des abnehmenden Lichts
 
Johannes von Weizsäcker
Mein halbes Jahr: >Musik<
Flying Lotus – Thundercat – Vulfpeck – Knower – Louis Cole – Suburban Lawns
 
Birthe MĂĽhlhoff
Mein halbes Jahr: >Literatur<
Fist – Kontrasexuelles Manifest – Future Sex



DAZWISCHEN

 
Peter Siller
Infrastructures matter!
FĂĽr einen neuen Anlauf in der Gerechtigkeitsdebatte



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