Das Online-Magazin zur Zeitschrift | HALBJAHRESMAGAZIN polar






polar #23: Ende und Anfang




EDITORIAL

 
Liebe Leserin, Lieber Leser


ENDE

 
Mark Fisher
»Zeit gibt es hier keine, jetzt nicht mehr.«
 
Lukas Zidella
Kontinuität und Wandel
Vom Ende des Endes der Geschichte
 
Stefan Willer
Verhinderte Zukunft
Sicherheit, Prävention, Imagination
 
Paula Diehl
News for the Masses
Massenmedien, Populismus, Rechtspopulismus
 
Thomas Schramme
Ende des Lebens
Die vertraute und völlig unbekannte Befassung mit dem Tod
 
Frederik R. Heinz
Das Ende der »politischen« Kunst
Warum uns die Kunst nicht retten kann
 
Interview Soh Bejeng Ndikung
»Privilegien verlernen«
 
Susann Neuenfeldt / Simon Strick
>OST<
Chris Cornell – Jonathan Demme – Jaki Liebezeit – George Romero – Clyde Stubblefield



ANFANG

 
Bertram Lomfeld
TATA!
Demokratische Utopien politischer Ă–konomie
 
Felix Heidenreich
Das Recht auf Hoffnung
und die Umverteilung des Optimismus
 
Peter Siller / Bertram Lomfeld
Ist es links? >Optimismus<
 
Ulrike Meyer
Eine neue europäische Identität?
Die Krise als Chance begreifen
 
Stefan Solleder
Wann fängt ein Anfang an?
Fluch und Segen von Zeitabschnitten in den Sozialwissenschaften
 
Dietmar Dath
D=B=K
Digitale Spuren aus „Venus siegt“



MEIN HALBES JAHR

 
Peter Siller
Mein halbes Jahr: ›Comic‹
100 Manga Artists – 75 Jahre DC Comics – Black Panther – Chrononauts – Corto Maltese – Essai – Geisel – Die Zeitmaschine – Ich habe … getötet – La Casa – Little Nemo – Martha & Alan – Melvile – New York – Old Man Logan – Paper Girls – Patience – Rach
 
Matthias Dell
Mein halbes Jahr: ›Film‹
Oh happy Day – Fargo – In Zeiten des abnehmenden Lichts
 
Johannes von Weizsäcker
Mein halbes Jahr: >Musik<
Flying Lotus – Thundercat – Vulfpeck – Knower – Louis Cole – Suburban Lawns
 
Birthe MĂĽhlhoff
Mein halbes Jahr: >Literatur<
Fist – Kontrasexuelles Manifest – Future Sex



DAZWISCHEN

 

Peter Siller

Infrastructures matter!

FĂĽr einen neuen Anlauf in der Gerechtigkeitsdebatte


Es wird höchste Zeit den ritualisierten und weitgehend wirkungslosen politischen Diskurs um die soziale Spaltung unserer Gesellschaft aufzubrechen. Es ist Zeit für einen neuen Anlauf in der Gerechtigkeitsdebatte, der den Weg bereitet für die tatsächliche Teilhabe aller. Dafür braucht es eine andere »Philosophie«, eine andere Strategie und andere Schlüsselprojekte, als wir sie in den letzten Jahrzehnten vorgeführt bekommen haben. Die Reduzierung der Debatte auf Steuersätze und Sozialtransferleistungen dringt zu der entscheidenden Frage gar nicht mehr vor: Wie stellt sich gesellschaftliche Teilhabe überhaupt her? Erst so kommt man auf die zentrale Bedeutung inklusiver Infrastrukturen im Sinne öffentlicher Räume und Netze. Das ist der Stoff für eine überzeugende Gerechtigkeitserzählung, die sich an ihrer tatsächlichen Wirksamkeit für mehr Teilhabe der Ausgeschlossenen, Prekären und Verunsicherten messen lassen kann.
 
Gleiche Freiheit
Eine politische Strategie, die sich auf Gerechtigkeit beruft, kommt nicht umhin, über die Annahmen ihres Gerechtigkeitsbegriffs Rechenschaft abzulegen. Die Bezugnahme auf diesen Begriff ist im linken Spektrum öfter anzutreffen als anderswo. Dennoch handelt es sich bei Gerechtigkeit um einen oft unbestimmten Begriff, der sehr vieles heißen oder behaupten kann. Gerade deshalb ist es so wichtig, zwei elementare Grundannahmen zu betonen, die das weitere Nachdenken und Handeln orientieren: Gerechtigkeit ist eine relative Kategorie der Beziehung zwischen Menschen und sie zielt im Kern auf die Gleichverteilung von realen Freiheitsmöglichkeiten.
 
Gerechtigkeit erschöpft sich nicht in absoluten Standards unabhängig davon, wie es den anderen geht. Gerechtigkeit beinhaltet eine soziale Relation, die davon ausgeht, dass sich aus unserer Gleichheit als Freie die Anforderung ableitet, dass unsere Freiheitsansprüche, die Verwirklichung unserer Bedürfnisse, Wünsche und Träume, gleichermaßen Unterstützung finden. Diese relative Gerechtigkeitsanforderung gegen unverdiente Privilegien und die Lotterie der sozialen Herkunft ist auch deshalb eine entscheidende Annahme, weil erst so deutlich wird, warum Gesellschaften auch dann ein fundamentales Gerechtigkeitsproblem haben, wenn sich zwar das absolute Niveau am unteren Ende der Skala verbessert, aber die relative Schere dramatisch auseinandergeht. Gerechtigkeit steht zweitens sinnvoll verstanden nicht gegen Freiheit, sondern Gerechtigkeit ist eine Antwort darauf, wie wir uns als Freie zueinander verhalten, in welchem Verhältnis die Freiheitssphären zueinander stehen.
Gerechtigkeit zielt auf gleiche Freiheit im Sinne eines regulativen Ideals, das sich nie vollständig verwirklichen lässt, das aber die Orientierung vorgibt, indem es mit Freiheit das zentrale Gut und mit Gleichheit den zentralen Maßstab von Gerechtigkeit beschreibt. Dieses Verständnis von Gerechtigkeit als gleiche Freiheit ist einfach – und zugleich in vielerlei Hinsicht vielschichtig und anspruchsvoll. Nicht nur deshalb, weil die schwierigen Fragen der Leistungsgerechtigkeit, der allgemein vorteilhaften Ungleichheit oder der Berücksichtigung von teuren Vor­lieben zu berücksichtigen sind, sondern auch, weil der Großbegriff der Freiheit selbst wiederum voraussetzungsvoll ist. Freiheit hat zum einen vielfältige Konstitutionsbedingungen, die den Individuen überhaupt einen Denk- und Erfahrungshorizont unterschiedlicher Handlungsoptionen eröffnen. Freiheit hat zum anderen vielfältige Verwirklichungsbedingungen, an denen sich dann entscheidet, ob eine Handlungsoption mit Blick auf Fähigkeiten und Ressourcen tatsächlich ergriffen werden kann. Beide Freiheitsdimensionen – Autonomisierung und Autonomiegebrauch – verweisen auf die Notwendigkeit eines unverkürzten Gerechtigkeitsbegriffs, der weder Gerechtigkeit auf Autonomisierung noch auf Autonomiegebrauch reduziert. Und sie verweisen auf ein potenzielles Spannungsverhältnis zwischen beiden Dimensionen, das spätestens im Erwachsenenalter grundsätzlich durch die Individuen selbst zu beantworten ist. Gerechtigkeit nach diesem Verständnis schließt einen politischen Paternalismus aus, der für die Menschen beantwortet, worin ein »gutes Leben« besteht und was ihnen deshalb zusteht. Gerechtigkeit als gleiche Freiheit maßt sich deshalb auch nicht das Versprechen gleichen Glücks an – entgegen dem momentanen Trend der Psychologisierung von Politik. Sie verspricht auch nicht gleichen Erfolg bei der Realisierung eigener Lebenspläne. Was sie ins Auge nimmt, ist vielmehr die gleiche Gewährleistung der Ermöglichungsbedingungen für die Ausbildung und die Verwirklichung von Freiheit. […]



SCHÖNHEITEN

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