Liebe Trauergäste,
Wie sollen wir um OST trauern? Wie soll getrauert werden, um das, was über alle westdeutsche Gebühr hinaus auf der Differenz beharrt hat? Wie können wir weinen um die, die im Zeichen der aufgehenden Sonne BLACK HOLE SUN weitergemacht haben? Um jene, die immer »drüben« waren? Wie beklagen wir den Tod der Volksbühne OST? Die Himmelsrichtung von uns gegangen, ist der Kompass um eine Richtung ärmer.
OST war Richtung und Haltung, und Richtung war Pulsschlag und Haltung war Rhythmus. Der Rhythmus ist jetzt zum Stillstand gekommen. Für immer. Aus die Maus. Der Rhythmus war nicht »das Herz der Stadt«, das sollen andere verpflanzen, wie und wohin sie wollen. »Die Stadt« ist eine Illusion, eine Schnapsidee der Kolonisatoren und ihrer Werbegrafiker. Tot ist der Rhythmusgeber, der Takt, der unaufhörlich die Diskurspumpe für Euch gegeben hat. Tot ist diese monströse Maschine, die einfach immer weiter produziert hat, zwischen Automatisierung und hochdosiertem Gefühl. Wie JAKI LIEBEZEIT im Westen, war OST der FUNKY DRUMMER am Rosa-Luxemburg-Platz.
Jaja, da war auch ein Mann, ein Weißer, mit einem veralteten Frauenbild und zu langen Stücken, das ist bekannt. Gut, dass der weg ist (ein neuer steht schon da). Getrauert wird um jeden, der abgeht.
Wir leben in der Zeit des abnehmenden Rhythmus. Ständig passiert was. Alle hauen was raus, wie sie können. Die Menschen reisen, machen, sie stagen ihre Projekte, knallen ein Event an den anderen, schreiben die Anträge und pflegen die Kontakte. Da kommt kein Rhythmus raus, egal wieviel Bands und Tanzkram ihr auf die Bühne bringt. Damit baut ihr keine Maschine, die funktioniert, und Menschen eine Heimat gibt. Wo der Motorengeruch ist, die Kolben stampfen, die Mechanik rattert, und man mitgerissen wird vom Räderwerk, da kann man zuhause sein. Da war nichts mit Innovationskraft, Standortmarketing, Networking und Kreativität. Da war STOP MAKING SENSE. Wir werden vermissen, dass das jemand in dieser Deutlichkeit durchexerziert hat.
Wir stehen hier als Betroffene, die die Chance 2000 nicht genutzt haben. Lasst uns trauern: Der Westen ist auf die Produktion von Verschleiss ausgelegt, der Osten auf die Produktivität der Verschlissenen. OST hatte mit dieser Produktivität kein Problem, die Toten waren die Vorarbeiter. OST war eine Maschine der Toten, geräumig, wandelbar, geographisch schwer auszuloten, politisch dystopisch. Da waren Gänge, wo die Stimmen der Schauspieler auf der Probe verhallten. Das Meckern der Haustechniker, Geräusche aus Werkstätten, Probenräumen, Abstellkammern. Das ganze Haus ein riesiges Ohr, eine Stasi-Abhöranlage, in der Geborgenheit hergestellt wurde. Abhören ist eine Fabrik für Nähe. In den Gängen waren wir tagelang versteckt, ernährten uns von Sekt und dem Klang, ohne Gefühl von West- oder Restzeit. Keiner hat uns nach Eintrittskarten gefragt, niemals.
Die Gänge im OST werden keine Orte mehr für uns sein. Wir wollen OST unterirdisch werden lassen. Wir sind für die würdige Versenkung des ganzen Baus in die Erde am Rosa-Luxemburg-Platz. Ihr seid nicht den Saal wert, nicht die Gänge, nicht den Sekt. Eure Texte, die SCHREIE EURER LÄMMER, werden auf dieser Bühne nicht einmal ein Echo finden. Und wenn, bald schon, in der Hölle kein Platz mehr ist, wandeln die Toten auf der Erde.
Und eine Bitte an die, die hadern: vergesst die Idee, die »Zukunft der Volksbühne neu Verhandeln«. Es gibt keine Zukunft im Tod, keine Unterhandlungen mit dem Tod, er akzeptiert nur Hingabe. Restlose Hingabe. Eure geliebte Bühne hat es selbst gesagt: Liebe zur Zukunft heißt Nekrophilie. Ehret die Toten. In Ehren gehen, das lernt man nicht im Kapitalismus.